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Geschichte Baumeister im Märchenschloss

Das Schloss Wernigerode verdankt ihm sein Gesicht. Mit dem Schlossbaumeister Carl Frühling befasst sich Schlosschef Christian Juranek.

Von Katrin Schröder 19.03.2017, 07:11

Wernigerode l Wie aus dem Märchen: Das Schloss Wernigerode ist für seine markante Gestalt bekannt. Weniger bekannt ist der Mann, der dem Bauwerk dazu verholfen hat. Carl Frühling (1839-1912) war Architekt und Schlossbaumeister unter Fürst Otto zu Stolberg-Wernigerode. Über Frühlings Leben ist jedoch weniger bekannt, als man vermuten würde, sagt Christian Juranek.

Der Kunsthistoriker und Geschäftsführer der Schloß Wernigerode GmbH forscht seit Jahren über den Baumeister, unter dessen Ägide in den Jahren von 1862 bis 1885 der Umbau zum repräsentativen Fürstensitz erfolgte. Die Bedeutung des Architekten sei unstrittig, sagt Christian Juranek. „Man kann nicht über das Schloss sprechen und Carl Frühling dabei außer Acht lassen.“

Dem gebürtigen Blankenburger wurde der Weg ins Bauwesen praktisch in die Wiege gelegt. Er war nicht nur der Sohn des Kreisbaumeisters Carl Heinrich Frühling, auch sein Bruder Otto Frühling schlug die Architektenlaufbahn ein. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Blankenburg studierte Carl Frühling, der Jüngere, am Collegium Carolinum in Braunschweig. Im Unterricht am Vorläufer der Technischen Universität lernte der junge Harzer alles, was er konnte, berichtet Juranek.

Zur Ausbildung gehörte ebenfalls das praktische Arbeiten – zum Beispiel im Drechseln, Kunstschmieden und Zeichnen. Unterrichtet wurde Frühling unter anderem von Heinrich Georg Brandes, einer der wenigen Harzmaler, dessen Bilder in Braunschweig zu sehen sind.

Beeinflusst wurde er vor allem von der Hannoverschen und der Braunschweiger Architekturschule. Während erstere wie ihr bekanntester Vertreter Conrad Wilhelm Hase der Neogotik und dem Backsteinbau verpflichtet war, setzte letztere auf den „reinen Klassizismus“, so Juranek. Frühling selbst studierte bei Heinrich Ahlburg, der Braunschweigs Staatstheater gemeinsam mit Carl Wolf im Stil der Florentiner Frührenaissance errichtet hatte.

All diese Einflüsse spiegeln sich in Carl Frühlings späterem Werk, sagt Christian Juranek. Obwohl zum Beispiel der Wernigeröder Lokalhistoriker Manfred Oelsner das Schlagwort vom „neogotischen Schloss“ prägte, fänden sich doch zahlreiche Elemente der Neorenaissance in dem Bauwerk auf dem Agnesberg.

Dazu zählten zum Beispiel der Festsaal und die Fenster des Königszimmers zur Terrassenseite. Auch die grünen Kachelöfen seien typisch für die Renaissance-Zeit. „Carl Frühling hat beides miteinander kombiniert. Das ist bei der Herkunft, die er hat, kein Zufall.“

Seine erste Anstellung erhielt der junge Architekt jedoch am Schloss Ilsenburg, wo er ab 1860 Baumeister Carl Ebeling beim sogenannten Botho-Baus assistierte. Frühling übernahm die Bauleitung nach den Plänen von Ebeling. Zu dieser Zeit hat der Nachwuchsarchitekt zwar sein Studium abgeschlossen, doch das Baumeister-Examen stand noch aus.

Das hinderte ihn jedoch nicht, sein Ziel zu verfolgen – in die Dienste des Fürsten zu treten. Obwohl er das Angebot hatte, beim Braunschweiger Kreisbaumeister Ebeling zu bleiben und später dessen Posten zu übernehmen, schrieb er einen Brief an Otto zu Stolberg-Wernigerode, in dem er inständig um eine Anstellung bat.

„Das ist ein sehr schönes Bewerbungsschreiben“, sagt Juranek – und es stieß auf Wohlwollen. Denn Fürst Otto hatte große Pläne für Schloss Wernigerode, mit der Mannschaft, die ihm zur Verfügung stand, war er aber nicht zufrieden. Mit Ausnahme von Carl Frühling: Der junge Architekt wurde eingestellt, aber auch ermahnt, die staatliche Prüfung abzulegen, was er im Jahr 1866 nachholte.

Bis dahin genoss der aufstrebende Baumeister die wohlwollende Förderung des Fürsten. „Otto hat ihm diverse Reisen finanziert“, so Juranek. In Paris und im Tal der Loire studierte Frühling die Bauten der Renaissance. „Das spielte beim Treppenhaus-Neubau eine Rolle“, weiß der Schlosschef. Ebenso sind die Fabelwesen auf der Schlosstreppe von dem französischen Architekten und Denkmalpfleger Eugène Viollet-le-Duc inspiriert.

Dieser war maßgeblich unter anderem an der Restaurierung von Notre Dame in Paris beteiligt war und wurde mit seinem mehrbändigen „Wörterbuch der französischen Architektur“ berühmt wurde. „Carl Frühling hat dieses Werk für seine Entwürfe benutzt“, erklärt Christian Juranek – wie zahlreiche Architekten in ganz Europa zu dieser Zeit. Auf reines Nachahmen hat sich der Schlossbaumeister aber nicht beschränkt. „Er hat sich inspirieren lassen, aber er hat nicht imitiert. Seine Arbeit ist durchaus mit einem eigenständigen Charakter versehen“, urteilt der Schloss-Chef.

Interessant sei die Frage, ob der Umbau das Ergebnis planvoller Überlegung oder schrittweisen Herantastens gewesen ist. Fest steht: „Erfahrung hatten beide nicht, weder Frühling noch Otto“, so Juranek. Sein Fazit: Frühling habe tastend begonnen, sich aber rasch an gesamtkonzeptionelle Überlegungen gewagt. Prägend für sein Werk sei die „unbedingte Vielgestaltigkeit“ – der Architekt vermied Symmetrie, zum Beispiel beim Burgfried, der mit seinem fünfeckigen Grundriss von jeder Seite eine andere Silhouette darbietet. „Das macht den künstlerischen Charakter des Schlosses aus.“ Ausgezeichnet habe ihn, dass er versucht habe, möglichst viel Erhaltenswertes zu bewahren.

Bei aller Fülle an Material bleiben Fragen offen, wenn es um die Person Frühling geht. Geschuldet ist dies einem Mangel an Unterlagen. „Es gibt die Personalakte Carl Frühling nicht“, sagt Juranek. Der Schlossbaumeister residierte in der „Villa Frühling“, dem heutigen Schlossberg-Hotel. Die Dienstwohnung muss er nach seiner Pensionierung – nach Aufforderung von Fürst Christian-Ernst, dem Sohn Ottos – verlassen. Frühling zieht nach Braunschweig, wo er 1912 stirbt und begraben wird.