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Krebs besiegt Vanessa: "Ohne ihn hätte ich aufgegeben"

Vanessa Oberstädt aus Wernigerode nahm den Kampf gegen den Krebs auf - und gewann. Viele Menschen haben sie unterstützt.

Von Katrin Schröder 01.10.2017, 06:15

Wernigerode l Manchmal wird Vanessa Oberstädt von wildfremden Leuten angesprochen. „Sogar ein Kassierer im Supermarkt hat mir ,Gute Besserung‘ gewünscht“, berichtet die 27-jährige Wernigeröderin. Ihr Gesicht war vor gut einem Jahr allgegenwärtig – in den sozialen Medien, auf Plakaten. Dazu der Satz: „Helft Vanessa!“ Die junge Frau hatte Leukämie und brauchte eine Stammzellspende. Mittlerweile hat sie den Blutkrebs besiegt – mit der Hilfe ihres Mannes Marco, von Familie, Freunden und zahlreichen Unterstützern.

Die Krankheit kam aus heiterem Himmel. „Es war drei Wochen vor meiner letzten Prüfung“, berichtet Vanessa. Die 26-Jährige studiert Medizin, ihr erstes Jahr an der Hochschule in Hannover ging zu Ende. Nebenbei arbeitete sie dort als Krankenschwester. Seit Wochen plagten sie starke Kopfschmerzen, Vanessa dachte: Das ist der Stress. Doch am 12. August 2016, einem Freitag, wurde es so schlimm, dass ihr Mann sie abends ins Krankenhaus schickte.

Die Ärzte dort wollten sie nicht wieder gehen lassen. Vanessa verbrachte das Wochenende in der Klinik. „Man hat mir zunächst gesagt, dass sie von einem Virus ausgehen.“ Erst drei Tage später erhielt sie die Diagnose. „Ich stand vor dem Spiegel und habe gedacht: Du hast Leukämie. Das kann doch nicht sein.“ Vanessa durfte nach Hause, ihre Sachen packen. Sie und ihr Mann bestellten Pizza, saßen zusammen auf dem Sofa. „Wir haben den ganzen Abend geweint.“

Die geplante Reise nach Indonesien sagten sie ab. Vom Arzt hörte Vanessa: „Wenn Sie in den Urlaub geflogen wären, dann wären Sie nicht lebend zurückgekehrt.“ Eine Woche später begann die Chemotherapie, früher als üblich, die Zeit drängte. Doch dann stellte sich heraus: Das reicht nicht. Vanessa brauchte eine Transplantation, Stammzellen von einem Spender mit übereinstimmenden Gewebemerkmalen.

Sofort traten Familie und Freunde auf den Plan. „Meine Mutter hat gleich mit der DKMS, der Deutschen Knochenmarkspenderdatei, telefoniert“, berichtet die Wernigeröderin. Im HKK-Hotel in ihrer Heimatstadt fand Ende September eine Typisierungsaktion statt. 1731 Menschen ließen sich für die DKMS registrieren. Einem ähnlichen Aufruf, den Arbeitskollegen in Hannover gestartet hatten, folgten 1023 Personen. Der Zuspruch tat gut. „Es war Wahnsinn“, sagt Vanessa rückblickend. „Ich habe so viel Besuch bekommen und so viele Nachrichten. Ich habe nur geheult.“

Ihr Ehemann wich in dieser Zeit nicht von ihrer Seite. „Ich war entweder bei der Arbeit oder im Krankenhaus“, sagt Marco Oberstädt. So oft es ging, nahm er frei, sein Arbeitgeber, die Polizei, zeigte Verständnis. Kollegen ließen sich ebenfalls typisieren. Für ihn war Vanessas Krankheit eine Katastrophe. „Am liebsten hätte ich an ihrer Stelle dort gelegen.“

Der Spender, der zu der jungen Patientin passte, fand sich jedoch weder im Harz noch in Hannover. Ein 23-jähriger Brite wurde ihr Lebensretter. Vergebens waren die Typisierungsaktionen aber nicht, betont Vanessa – denn andere Patienten haben davon profitiert. „Ich weiß von mindestens drei Teilnehmern aus Wernigerode, die gespendet haben, und von einem in Hannover.“

Zur Vorbereitung auf die Transplantation ertrug Vanessa eine Serie von Bestrahlungen und eine weitere intensive Chemotherapie. Dadurch wurden die kranken Stammzellen zerstört. Am 23. Dezember empfing sie die Spende per Transfusion, hing eineinhalb Stunden lang am Tropf.

Die folgenden Monate waren hart. Medikamente sollten verhindern, dass Körper und Spenderzellen sich bekämpfen – was bei Vanessa jedoch nicht gelang. Graft-versus-Host-Disease (GvHD) heißt diese Reaktion, die zum Tod führen kann. Vanessa bekam dagegen Kortison und damit „alle Nebenwirkungen, die das haben kann“. Schleimhäute und Darm wurden geschädigt, zeitweise musste sie künstlich ernährt werden. Ihr Schicksal beschreibt sie in einer Broschüre der José-Careras-Leukämie-Stiftung, die damit unter anderem Spendengeld für die Forschung zu GvHD einwerben will.

Als sich nach 16 Tagen langsam neue Leukozyten in ihrem Blut bildeten und die Behandlung auf das Ende zuging, war sie froh. „Im Februar kam ich nach Hause und dachte: Es wird alles gut. Aber nichts war gut.“ Vanessa war zu schwach, um vom Stuhl aufzustehen. Ständig stürzte sie, der Gleichgewichtssinn spielte verrückt. „Das kann man sich gar nicht vorstellen, dass man mit 26 Jahren körperlich so am Boden sein kann.“

Sie wartete auf den 2. April – Therapietag 100, der Wendepunkt, sagt man. „Dann wurde es tatsächlich besser.“ Im Mai feierte Vanessa Geburtstag, fuhr mit ihrem Marco weg. „Wir sind immer gerne gereist. Es war gut zu sehen, dass das wieder geht.“ Danach bat Vanessa ihren Arbeitgeber, sie wieder in den Job einsteigen zu lassen. Bedenken, dass es zu früh sein könnte, hatte sie nicht. „Mir geht es gut, warum soll ich warten?“ Seit dem 13. August 2017, ein Jahr und einen Tag nach dem ersten Gang ins Krankenhaus, arbeitet sie wieder wie früher in ihrer Teilzeitstelle.

Noch muss sie regelmäßig zur Kontrolle, erst nach fünf Jahren gelten Patienten als geheilt. Manchmal kehrt die Angst zurück, doch die Krankheit beherrscht nicht mehr den Alltag. Was sich verändert hat, ist ihr Bewusstsein. „Ich war immer sehr aktiv, habe viel gearbeitet und gelernt. Im ersten Studienjahr war ich regelrecht verbissen.“ Jetzt wolle sie das Leben mehr genießen. Bevor das neue Semester beginnt, will sie den Sportbootführerschein in der Tasche haben. Marco nickt, Vanessa sieht ihn an. „Ohne ihn hätte ich vielleicht aufgegeben.“