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Kriegserinnerung Flug in die Vergangenheit

72 Jahre nach seinem Absturz setzt sich Pilot Karl-Heinz Bosse in Wernigerode wieder ans Steuer seiner Unglücksmaschine.

Von Sandra Reulecke 01.11.2016, 00:01

Wernigerode l „Kann das Teil auch Loopings?“ Karl-Heinz Bosse ist sichtlich begeistert. Im Wernigeröder Museum für Luftfahrt und Technik bestaunt der erfahrene Pilot den Flugsimulator. Dabei verbindet den 91-Jährigen eine tragische Geschichte mit der Maschine.

Es war der 17. Dezember 1944, vierter Advent, als sein Flugzeug vom Typ Me 109 G-14 beschossen wurde. Der Jagdfliegerpilot stürzte ab. Die Uhrzeit werde er nie vergessen: 11.20 Uhr.

Er überlebte. Dank seines Fallschirms landete er verwundet in der Nähe von Bad Neuenahr. Gerade erst 19 Jahre alt, standen ihm Aufenthalte in mehreren Lazaretten bevor, zuletzt eines in seiner Heimat Nordhausen. „Ich durfte zu Hause schlafen“, berichtet er. „Hier empfing ich Anfang 1945 meinen Flugzeugwart, der meiner Mutter meine letzte Habe übergeben wollte – man hatte mich für tot gehalten.“

Der Absturz war nicht das einzige Mal, dass Karl-Heinz Bosse knapp mit dem Leben davon gekommen ist. Im April 1945 wurde Nordhausen angegriffen, sein Elternhaus von Fliegerbomben zerstört. „8800 Tote kostete dieser sinnlose Angriff“, berichtet Bosse. „Es war nicht die Schuld dieser Piloten, sondern der Machthaber.“ Der Nordhäuser hegt nicht einmal Groll gegen den Soldaten, der ihn abgeschossen hat. 70 Jahre danach, 2014, erfuhr er den Namen des Amerikaners, der die „Thunderbolt“ geflogen hat. Lieutenant Elton B. Long.

„Leider ist er 2003 gestorben. Aber zu seiner Familie habe ich Briefkontakt. Eine Tochter hat mich sogar in Deutschland besucht.“ Dadurch habe er erfahren, wie viele Gemeinsamkeiten er mit dem früheren Gegner hatte. „Wie konnten wir uns nur bekämpfen? Unter anderen Umständen wären wir vielleicht Freunde geworden.“ Auch der vier Jahre ältere Amerikaner sei leidenschaftlicher Flieger gewesen, habe eine ähnliche berufliche Laufbahn eingeschlagen.

Nach dem Krieg studierte Karl-Heinz Bosse, er wurde Konstruktionsingenieur. Doch privat konnte er nicht von der Fliegerei lassen. In den 1950er-Jahren unterstütze er den Wiederaufbau des Flugplatzes Nordhausen, war dort Jahrzehnte lang als Fluglehrer tätig. Nach der politischen Wende war Bosse eines der Gründungsmitglieder des Fliegerclubs in Nordhausen. Zwar schied er 1994 altersbedingt aus, aber sein Interesse an der Fliegerei und an der Geschichte hat sich der neunfache Urgroßvater behalten.

Seine bewegte Biografie hat der Senior niedergeschrieben. „Ich hatte ein inhaltsvolles Leben, aber ein positives“, resümiert er. Einige Exemplare seiner Lebensgeschichte sowie Erinnerungsstücke seiner Fliegerkarriere hat Bosse nun dem Wernigeröder Flugzeug-Museum übergeben.

Und er stellt sich dort der Vergangenheit, im Flugsimulator einer Me 109. Der Einstieg ist beschwerlich, das linke Knie hat sich nie von den Verletzungen des Absturzes erholt. Aber Karl-Heinz Bosse nimmt es mit einem Lachen. „Das ging früher irgendwie leichter." Angst habe er keine vor dieser Konfrontation. „Ich freue mich – abstürzen kann ich schließlich nicht“, sagt er und grinst.