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Schloss-Schätze Filigrane Keramik in Kinderhand

10.000 Objekte gehören zum Bestand des Schlosses Wernigerode. Die Harzer Volksstimme stellt einige der Schätze und ihre Geschichte vor.

05.07.2017, 23:01

Wernigerode l Ihre Artgenossen auf der Wiese sind braun oder schwarzbunt gefleckt, doch diese Kühe tragen Ornamente in Blau auf dem Rücken, verziert mit zarten Blüten in Gelb und verschiedenen Brauntönen. „Ein hübsches Dreierensemble“, sagt Eva-Maria Hasert, Kustodin des Schlosses Wernigerode, und rückt die Figuren auf dem Tisch zurecht.

Normalerweise stehen die Tierminiaturen in der Vitrine des Schreibzimmers von Gräfin Anna zu Stolberg-Wernigerode – dort, wo sie hingehören. Denn die Kühe stammen nicht nur aus fürstlichem Besitz, sondern gehörten der Gräfin selbst. Wie die Kühe in Familienbesitz gelangt sind, sei schwer nachzuvollziehen, sagt die Kustodin.

Doch wozu sie dienten, ist überliefert – als Spielzeug für die sieben Kinder von Graf Otto zu Stolberg-Wernigerode und seiner Gemahlin Anna. „Das zeigt, dass sie als Mutter großzügig gewesen sein muss, sagt Schlossgeschäftsführer Christian Juranek. Denn die kostbaren Keramiken waren seinerzeit begehrt. Die Herstellungstechnik geht auf maurische Vorbilder zurück. Deren Erzeugnisse gelangten ab dem 14. Jahrhundert nach Europa, nach dem Haupthandelsplatz Mallorca wurden sie Majolika genannt. „Die Europäer waren hin und weg“, sagt Eva-Maria Hasert. Im italienischen Faenza entwickelt sich während der Renaissance eine eigene künstlerische Keramiktradition – vom Namen der Stadt wurde der französische Begriff Fayence abgeleitet.

Die Technik breitete sich über ganz Europa aus. Die filigranen Kühe aus dem Wernigeröder Schloss sind um das Jahr 1700 in den Niederlanden entstanden. Entsprechende Manufakturen waren zu dieser Zeit rund um das Ijsselmeer angesiedelt, erklärt Christian Juranek, der davon ausgeht, dass die Grafenfamilie die Figuren gekauft hat – wo genau, weiß man nicht.

Bekannt ist hingegen, dass Gräfin Anna ein enges Verhältnis zu ihren Kindern pflegte. Über das Museumscafé, das im späten 19. Jahrhundert als Garderobe diente, und eine Verbindungstür zum Kinderzimmer, in der heute eine Vitrine steht, hatten die Mädchen und Jungen Zugang zum Schreibzimmer der Gräfin. „Die Kinder konnten jederzeit zu ihrer Mutter vordringen, und Anna hat sich dann die Zeit genommen, sich mit ihnen zu beschäftigen“, berichtet Eva-Maria Hasert – anders als ihr Vater, Graf Otto, den seine Kinder nur bei vorab terminierten Audienzen zu Gesicht bekamen.

Möglicherweise hat Anna den Kindern die Kühe überlassen, um sie zu beschäftigen – entsprechend „abgeliebt“ sind die Miniaturen. „Offensichtlich haben die Tiere ihnen gefallen“, sagt die Kustodin und zeigt abgestoßene Hörner sowie verschrammte Euter. Die Fayencen blieben auf dem Agnesberg, auch nach der Enteignung der Fürstenfamilie 1945. Aufkleber auf der Unterseite der Keramiken weisen diese als Eigentum des „Feudalmuseums Schloss Wernigerode“ aus.

Nach der Wende haben die Kühe allerdings ihren angestammten Stall verlassen – im Rahmen der Restitution waren die Fayencen an die Familie Stolberg-Wernigerode zurückgegeben worden. Diese hat sie wiederum versteigern lassen, sodass die Schloß Wernigerode GmbH die Keramiktiere 2009 mithilfe der Kulturstiftung der Länder kaufen konnte. Zum Glück sagt Christian Juranek. „Diese Stücke sind inzwischen hochbegehrt.“ Viele Sammler, besonders aus den Niederlanden, suchen Fayencen. „Das ist Teil einer Rückbesinnung auf einheimische Traditionen.“

Weitere Schloss-Schätze:  Hier geht es zur Silberschale.

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