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Schulplanung Dorfschule platzt aus allen Nähten

Ausgerechnet der Kindersegen sorgt in Silstedts Grundschule "Henning Calvör“ für Sorgenfalten. Das Schulgebäude platzt aus allen Nähten.

Von Julia Bruns 23.06.2017, 01:01

Wernigerode/Silstedt l „Wir beschweren uns nicht“, sagt Ines Havenstein mit leiser Stimme. „In den letzten zehn Jahren wurde sehr viel in die Schule hineingesteckt. Laptops wurden angeschafft für die Kinder, der Bolzplatz wird gebaut und wir sind sehr glücklich über die neue Turnhalle“, zählt die 51-jährige Schulleiterin in der Sitzung des Kulturausschusses auf. Doch eine Sache trübt die Stimmung in der Silstedter Grundschule – das Haus platzt aus allen Nähten.

Der Ort beweist Demographen das Gegenteil dessen, was sie vor Jahren prophezeit haben. In Silstedts Schule sollten eigentlich – glaubte man den Voraussagen – heute um die 60 Kinder lernen. Doch es sind 88 Mädchen und Jungen, die die Bildungsstätte besuchen – Tendenz steigend. Seit 2013 drückt zuätzlich zu den Kindern aus Silstedt, Minsleben und Benzingerode auch der Nachwuchs aus Reddeber die Schulbank in Silstedt. „Momentan gehen im Schnitt 25 Kinder in eine Klasse“, sagt Ines Havenstein.

Bildungsminister Marco Tullner (CDU) habe angekündigt, die Klassenstärken durchschnittlich auf 22 Kinder anzuheben, um dem Lehrermangel zu trotzen. „Doch bei mehr als 30 Kindern, wie es sich für 2018 und 2019 ankündigt, ist Schluss“, sagt Ines Havenstein.

Nur vier Klassenräume bietet das Gebäude. Ein Lehrerzimmer, kaum größer als eine Besenkammer, ist Treffpunkt der sechs Kollegen und einer pädagogischen Lehrkraft. „Wir brauchen nicht unbedingt mehr Platz“, sagt Ines Havenstein bescheiden. Ihr gehe es um die Kinder – um Platz zum Lernen und differenzierten Arbeiten.

Die winzige Aula – man könnte sie mit einem großzügigen Klassenraum verwechseln – dient als Essensraum. „Die meisten Kinder essen in der Schule. Fast alle 88 Schüler sind Hortkinder“, sagt die Ilsenburgerin. „Wir müssen in drei Schichten Mittag essen.“ Daher kann die Aula nicht mehr als zusätzlicher Klassenraum genutzt werden.

All das erklärt die Lehrerin den Mitgliedern des Kulturausschusses, darunter der Vorsitzenden Angela Gorr (CDU), dem Dezernenten für Gemeinwesen Christian Fischer und Amtsleiterin Silvia Lisowski. Sie sei sich des Platzmangels bewusst. „Wir machen die Augen nicht vor den Problemen zu, wir arbeiten an einer Lösung“, verspricht Silvia Lisowski.

Christian Fischer findet deutlichere Worte. „Wir sind in der Pflicht, etwas zu tun. Wenn man eine Schule im Dorf halten will, dann muss man das auch richtig angehen“, sagt er. „Diese Schule wurde für 80 Kinder konzipiert. Die Prognosen für 2022/23 sagen 112 Schüler voraus – das ist eine Auslastung von 138 Prozent“, rechnet er vor. Die Ausschussmitglieder ziehen die Augenbrauen in die Höhe. „Ich möchte mich bei Ihnen im Namen der Verwaltung entschuldigen, dass die Situation so ist, wie sie ist“, sagt er an Ines Havenstein gewandt. Mittelfristig sei aus seiner Sicht keine Besserung zu erwarten. Damit deutet er an, was viele in dem Ausschuss denken – es muss gebaut oder erweitert werden. Ines Havenstein arbeitet seit 2007 in der Silstedter Grundschule, hat schon ein Auf und Ab der Schülerzahlen und Reformen miterlebt. „Wir hatten auch Zeiten mit 60 bis 70 Schülern“, erinnert sie sich.

„2013 kamen dann die Reddeberaner Kinder dazu“, sagt sie. Kurz zuvor stand der Erhalt der Schule in Silstedt auf der Kippe. Aufgrund der Schülerzahlen drohte die Schließung. Damals mussten mindestens 80 Kinder eine Grundschule besuchen, um sie zu erhalten. Silvia Lisowski warb 2013 im Reddeberaner Ortschaftsrat um die Gunst der Eltern – mit Erfolg. Dann wurden die Mindestschülerzahlen auf 60 Kinder abgesenkt.

Nun droht der Platzmangel zum Problem zu werden: 2019 würden laut aktueller Hochrechnung 35 Kinder neu eingeschult. „Es wäre toll, wenn uns ein Raum mehr zur Verfügung stünde. Das würde die Situation deutlich entspannen“, sagt Ines Havenstein. Ein Anbau wäre die Lösung.

Silstedts Bürgermeister Karl-Heinz Mänz (CDU) hat mit dem Ortschaftsrat eine andere Idee ausgearbeitet. „Ich rege an, darüber nachzudenken, einen neuen Kindergarten zu bauen. Dann hat die Schule wieder den gesamten Platz für sich.“ Das Gebäude teilt sich die Schule mit der Kindertagesstätte „Benjamin Blümchen“. Insgesamt 115 Kinder können in Hort und Kindertagesstätte betreut werden. „Im Oktober sind wir bei 112 Kindern“, sagt Anette Klaue von der Stadtverwaltung. Wenn mehr Kinder den Hort besuchen, können irgendwann keine Kinder mehr in der Kindertagesstätte aufgenommen werden. Das könne sich zum ernsthaften Problem entwickeln. In Silstedts Kindertagesstätte werden bisher Kinder ab zwei Jahren aufgenommen.

„Die Silstedter Schule war früher eine 10-Klassen-Schule“, sagt Karl-Heinz Mänz. Bis 1992 sei der alte Kindergarten im heutigen Schützenhaus am Dorfrand angesiedelt gewesen, die Schule hatte das gesamte Gebäude zur Verfügung. „Anbauen kann man nicht, dafür ist kein Platz“, gibt er zu Bedenken. Ihm sei wichtig, die Schule im Ort zu halten. „Wenn die Schule schließt, dann würde ich das nicht verkraften.“ Der Neubau könnte neben der Feuerwehr entstehen.

„Ich kann Sie beruhigen, die Schule in Silstedt steht nicht zur Disposition“, sagt Christian Fischer. Er versprach, die Varianten zu prüfen und pünktlich zur Haushaltsdebatte zu präsentieren.