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Spurensuche Israelische Familie sucht Opas Grab

Auf Spurensuche hat sich die israelische Familie Goshen in Farsleben begeben. Hier stoppte 1945 ein Zug mit 2400 Juden.

Von Gudrun Billowie 16.08.2016, 01:01

Farsleben l Dorrit Goshen legt einen hellen Kieselstein auf das Grab. Das ist eine jüdische Tradition. Dorrit Goshen vermutet, dass ihr Großvater in Farsleben begraben wurde. Er gehörte zu den rund 2400 Juden, die 1945 mit dem Zug von Bergen-Belsen nach Theresienstadt gebracht werden sollten.

Der Zug kam nie an. Er stoppte in Farsleben, Amerikaner waren bereits im Anmarsch. Was dann geschah, erzählt Pfarrer Kerntopf so: „Der Heizer hatte die Lok abgekoppelt, die Lok fuhr weiter, die Waggons blieben in Farsleben stehen.“ Was genau geschah, ist nicht restlos geklärt, doch irgendwann hätten die Menschen die amerikanischen Panzer gesehen und sich vorsichtig aus dem Zug getraut.

Diese Station hat vielen das Leben gerettet, aber nicht allen. Die Menschen waren stark ausgehungert, einige waren an Typhus erkrankt. „Das Pfarrhaus, das Gemeindehaus und Webers Hof wurde zum Lazarett umfunktioniert, auch in Hillersleben wurde eine Krankenstation eingerichtet. Viele Bewohner kümmerten sich um die schwerkranken Menschen“, erzählt Dieter Kerntopf.

Einigen brachte der Typhus den Tod. In Farsleben sind 32 Menschen begraben. Auch in Hillersleben haben viele Zuginsassen ihre letzte Ruhestätte gefunden.

Der Farsleber Ortsbürgermeister Rolf Knackmuß kennt die Geschichte, weiß, an welcher Stelle der Zug damals stehengeblieben war. Er fährt mit den Goshens an den Ort, der für viele so etwas wie ein zweiter Geburtsort wurde, zu den Bahngleisen in der Nähe des Moordahlsees. Dorrit Goshen steigt den Bahndamm hinauf, fotografiert die Stelle, an der ihr Großvater 1945 in die Freiheit gestiegen war.

Sie erzählt, sie habe ein Bild gesehen, auf dem der Name ihre Großvaters in einen Stein geschrieben ist, doch in Farsleben war so ein Stein nicht zu finden. Rolf Knackmuß fuhr mit der kleinen Familie nach Hillersleben, doch auch dort erfüllte sich die Hoffnung der Enkelin nicht. Dorrit Goshen ist sicher: Der helle Kieselstein ist auf dem Grab auf dem Farsleber Friedhof gut abgelegt.

Theresienstadt, Bergen-Belsen, das sind Orte, die für das Grauen stehen. Doch auch an solchen Orten gibt es Momente des Lichts. Der 67-jährige David Goshen ist nach dem Krieg in Bergen-Belsen geboren worden.

Seine Mutter, Regina Goshen, die aus dem polnischen Lodz stammt, war dort interniert. Warum sie den Ort nicht gleich nach der Befreiung verlassen habe, erklärt sie so: „Ich hatte Typhus und wir wurden von der englischen Armee gepflegt.“ Angesteckt hatte sie sich, so erzählt die 90-Jährige, durch Bisse von Typhuskranken. „Die hatten solchen Hunger und wir sahen gesund aus.“

Ihr späterer Mann war nach dem Krieg nach Bergen-Belsen gereist, um seine Familie zu finden. „Die fand er nicht, aber mich“, lächelt sie. Ende der 1940er Jahre sind sie mit dem kleinen David nach Israel übergesiedelt.

Regina Goshen spricht gut Deutsch, auch, wenn so viele Jahre nach der Zeit in Bergen-Belsen vergangen sind. Die Sprache sei für sie immer lebendig geblieben, weil David in Köln studiert und viele deutsche Freunde gefunden habe.

David Goshen war in Israel Schulleiter und hat seinen Schülern viel von Bergen-Belsen erzählt, hat mit ihnen Reisen nach Auschwitz unternommen. „Aber erst seit drei oder vier Jahren habe ich den Drang, nach Bergen-Belsen zu fahren.“

Rolf Knackmuß hat die Drei herzlich empfangen, ihnen die Orte gezeigt und einen Imbiss auf Webers Hof angeboten, der Ort, der vielleicht auch Dorrit Goshens Großvater als Lazarett gedient hatte.