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Vortrag Reden gegen das Vergessen

Zum Vortrag hatte der Heimat- und Kulturverein Wolmirstedt eingeladen. Erinnerungen an die jüdische Familie Herrmann wurden wach.

Von Ariane Amann 17.02.2017, 23:01

Wolmirstedt l Der Vereinsvorsitzende Erhard Jahn richtete gleich zu Beginn mahnende Worte an seine Vereinskameraden: „Wir befassen uns heute mit einem traurigen Kapitel der Wolmirstedter Geschichte. Die Nazi-Herrschaft hat auch hier Spuren hinterlassen, und doch müssen wir immer wieder darauf aufmerksam machen, dass sich die Geschichte nicht wiederholen darf.“ In Anspielung auf eine Rede des AfD-Politikers Björn Höcke, in der er eine Kehrtwende der Erinnerungskultur an den Zweiten Weltkrieg gefordert hatte, ergänzte Jahn: „Das ist das beste Beispiel, dass das Erinnern an die Gräuel der Nazi-Zeit eben doch nötig ist.“

Mit Erinnerungen an die jüdische Familie Herrmann konnte Lehrerin Karin Petersen aus Wolmirstedt dann auch mehr als eine Stunde lang leidenschaftlich dienen. Die Geschichte der Familie Herrmann ausfindig gemacht hatten ursprünglich die Schüler der Arbeitsgemeinschaft „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ am Wolmirstedter Gymnasium. An die Erkenntnisse dieser Arbeit sowie das Buch „Und dann warst du plötzlich ausgestoßen!“ des australischen Autoren Michael E. Abrahams-Sprod knüpfte Karin Petersen an.

Inge-Ruth Herrmann wurde am 12. Oktober 1922 in Wolmirstedt geboren, ihre Eltern Otto und Regina Herrmann hatten ein Bekleidungsgeschäft auf dem heutigen Boulevard, der damals noch Stendaler Straße hieß. „Die Geschäfte gingen gut, die Familie war angesehen in der Stadt“, erzählt Karin Petersen. Noch im Frühjahr 1933 hatte sich Otto Herrmann bei der Kommunalwahl für die SPD aufstellen lassen. „Ich finde es heute erstaunlich, dass er den Mut hatte. Andere Politiker hatten den nicht“, schätzt Karin Petersen ein.

Die Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 änderte die Situation für die Familie Herrmann zusehends. Die Geschäfte liefen immer schlechter, schließlich mussten sie ihr Geschäft 1935 aufgeben. Sie zogen nach Magdeburg, wo sie noch ein Wollgeschäft und eine Beteiligung an einer Schürzenfabrik besaß. „Das muss ohne Aufsehen passiert sein, denn Mitschüler haben erzählt, dass Inge-Ruth eines Tages einfach nicht mehr da war, und keiner wusste, wohin die Familie verschwunden war“, sagt Karin Petersen.

In der Großen Klosterstraße bezogen die Herrmanns eine kleine Wohnung, dort sind auch Stolpersteine zur Erinnerung an Otto und Regina Herrmann verlegt. In Wolmirstedt erinnern Steine an alle drei Herrmanns.

In Magdeburg wurde das Leben für die jüdische Gemeinde auch immer schwerer, bis sich Inge-Ruth entschloss, sich auf einen Kindertransport außer Landes zu bewerben. Die Fahrt nach Brasilien lehnte die Familie 1937 ab, ein Jahr später war der Druck jedoch so groß, dass Inge mit ihrer Cousine Gisela Jankelowitz nach Australien auswandern durfte. Sie war erst 15 Jahre alt, wurde mit ihrer Ankunft dort 16.

Regina und Otto Herrmann wurden im Oktober 1942 ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert, mit dem letzten Transport von dort wurden sie ins Lager Auschwitz gebracht, wo beide starben. Inge-Ruth Hermann habe in Australien jedoch geheiratet und Kinder bekommen, sie starb dort 2008.

Eine Sache habe Karin Petersen bei der Recherche zu den Herrmanns und anderen jüdischen Familien erschreckt: „Das war die akribische Auslegung der Rassentheorie. Mit welch perfider Präzision da noch jüdische Großeltern zur Diskriminierung herangezogen wurden, ist furchtbar.“

Otto Zeitke folgte dem Vortrag aufmerksam und hatte am Ende noch einige Ergänzungen: „Auch auf die Gefahr, dass ich jetzt als Methusalem gelte, aber ich habe die Familie Herrmann noch gekannt. Der Vater war ein sehr netter, höflicher, zuvorkommender Kaufmann. Zur Begrüßung und zum Abschied hat er sich überschwänglich verbeugt.“ Über einen späteren Kontakt einer Bekannten von Inge Herrmann habe er ihr auch noch Bilder von ihrem ehemaligen Wohnhaus geschickt. „Das hat sie sehr gefreut, hat sie dann geschrieben“, erinnert er sich.