Zerbster Archiv Gefragter denn je

Das Zerbster Stadtarchiv gilt unter anderem wegen des Prozessionsspieltextes und der Prunkbibel als das wichtigste Archiv Anhalts.

Von Sebastian Siebert 20.01.2016, 06:49

Zerbst l Seit der Entdeckung des Zerbster Prozessionsspiels in seiner Vollständigkeit beim wissenschaftlichen Arbeiten durch Hannes Lemke rückte das historische Stadtarchiv in die Wahrnehmung der Öffentlichkeit, erklärt Kulturamtsleiterin Antje Rohm. Ihrem Amt ist dieser Teil des Archivs angeschlossen, das neben dem Verwaltungsarchiv eine Hälfte des Stadtarchivs bildet. Das Verwaltungsarchiv sei bei dem Amt für Zentrale Dienste angesiedelt. Die Pläne, das Prozessionsspiel 2017 in Zerbst aufzuführen, lenken noch mehr Aufmerksamkeit auf den Fundort des Textes.

„In dem Zusammenhang und mit verschiedenen anderen Dingen darüber hinaus wollen wir ein bisschen der Öffentlichkeit präsentieren“, erklärte sie.

Herrin über die Archivalien ist Juliane Bruder. Die 26-jährige Museologin ist seit Herbst 2014 für das Archiv zuständig. „Sie ist sowohl für das Verwaltungsarchiv als auch für das historische Archiv zuständig.“ Entsprechend gut kennt sich die Roßlauerin in der Geschichte des Archivs aus. „Begründet liegt das Stadtarchiv schon im 13. Jahrhundert“, erzählt sie. Das sei deswegen gut nachzuvollziehen, weil die älteste Urkunde, die im Archiv verwahrt werde, aus dem Jahr 1264 stamme. Die sei auch noch gut erhalten und schon restauriert worden. Damals habe sich das Archivwesen sehr von dem unterschieden, was es heute sei, berichtet sie weiter.

„Das Archiv hat dazu gedient, die Rechtssicherheit zu wahren.“ Man habe alternativ auch Briefgewölbe oder Urkundendepot zum Archiv gesagt, so Juliane Bruder. „Dort wurden die Dokumente lediglich verwahrt, um das Stadtrecht nachvollziehbar zu machen.“ So wie heute mit einigen Dingen wie mit rohen Eiern umgegangen werde, sei es damals nicht gewesen. „Das waren alles einfache Gebrauchsgegenstände“, betont sie. War der Erhaltungszustand nicht mehr gut, sei es weggeflogen. „So ging das über etliche Jahrhunderte, bis das Archiv als solches als Forschungsstätte entdeckt wurde. Das kam mit der Franzöischen Revolution und mit dem Aufkommen des Nationalbewussteins. Dann begann man, sich mit der eigenen Geschichte auseinander zu setzen.“

Als die Historiker begannen in den Archiven zu forschen, habe man auch begriffen, dass mit den Sachen auch anders umgegangen werden musste, erzählt sie weiter.

„Unser Archiv war die ganze Zeit im Rathaus auf dem Markt untergebracht“, so die Archivarin. „Wir hatten das Glück, dass es nicht komplett chaotisch angelegt war, sondern schon in einem beschrifteten Kastensystem“, erklärt die junge Frau.

1891 – und damit etwas Später als in anderen Städten – sei der erste Stadtarchivar in Zerbst angestellt worden. Davor habe es zwar auch Personen gegeben, die sich um das Archiv kümmerten, „aber ohne wissenschaftlichen Hintergrund“, sagt sie. Dr. Albrecht Henning, der erste Stadtarchivar, habe auch eine archivische Ausbildung gehabt. „Die chaotischen Zustände waren damit beendet und Anfang des 20. Jahrhunderts war unser Stadtarchiv eines der bedeutendsten in Anhalt.“ Die Bestände waren gut erhalten und sehr vollständig. 1920 sei das Archiv aus Platzgründen in das Schloss gezogen. „Dort befand sich schon das Anhaltische Staatsarchiv, was nicht miteinander zu verwechseln ist. Das Staatsarchiv befasst sich mit den fürstlichen Unterlagenakten“, klärt die Archivarin auf. Auch das Museum habe sich zu der Zeit im Schloss befunden.

Im zweiten Weltkrieg wurden die Bestände des Stadtarchivs nur in kleinen Teilen nach St. Nicolai ausgelagert. Das Staatsarchiv hingegen wurde komplett ausgelagert und damit gerettet. „Das Stadtarchiv verzeichnete einen Verlust von rund 80 Prozent der Archivalien nach dem 16. April 1945“, berichte sie weiter. Erst als 1950 Reinhold Specht als Stadtarchivar eingesetzt wurde, veranlasste er, das die Reste des Archivs – zwischenzeitlich in den Kellerräumen des Schlosses eingemauert – gereinigt und sortiert wurden.

„Er schrieb eine Registratur, mit der wir heute noch arbeiten“, berichtet sie. Er erfasste 500 Pergamenturkunden, ebenso viele Papierurkunden, mehrere hundert Akten und Briefwechsel, 200 Bücher der ehemaligen wissenschaftlichen Bibliothek und auch Bauschulzeichungen. Die Bibliothek, so merkt Juliane Bruder an, hatte im Krieg 3500 Bücher sowie sämtliche Innungsakten und einige Lutherbriefe verloren. Zur Zeit der DDR befanden sich die Bestände im Kreisarchiv, seit 1996 sind die Bestände „hier in den Kavallierhäusern“, sagt sie.

Seit 2009 gehören auch die Personenstandsregister zum Archiv. Diese seien sehr nachgefragt. „Der Bereich der Familienforschung Geburts-, Ehe-, und Sterberegisten boomt zurzeit. Aus diesem Bereich kommen die meisten Anfragen und Nutzer.“

Rund 150 Anfragen habe das Archiv allein dadurch pro Jahr.