Premiere Tour der Torturen

Zwei Premieren an einem Abend - das ist nervenaufreibende Kost im Anhaltischen Theater in Dessau.

Von Andreas Behling 04.05.2016, 09:00

Dessau l Aufgenommen wurden die beiden kurzen Werke mit großer Begeisterung. Obgleich zu sagen ist: Nach einem solchen Abend ist niemand geneigt, beschwingten Gemüts den Heimweg anzutreten. Man fühlt sich mitgenommen, gepackt und durchgeschüttelt, weil Choreograf Tomasz Kajdanski und Opernregisseur Benjamin Prins die menschlichen Abgründe in düsterem Ambiente bis zur bitteren Neige ausloten. Nicht in jedem Moment subtil, doch umso härter treffend. Letztlich eine geradezu nervenaufreibende Kost. Ganz gewiss nichts für jemanden, der Seicht- und Weichgespültes bevorzugt.

Natürlich bleiben vor und nach der Pause mehr als Wunden. Es wird gestorben. Kommen in der ersten Hälfte der alte Kavalier (Thomas Ambrosini) und der schüchterne Jüngling (Julio Miranda) körperlich noch halbwegs ungeschoren davon, muss Joe Monaghan als Mandarin tüchtig einstecken. Als er sich in das Mädchen (Nicole Luketic) verliebt, machen sich die drei Strolche (Jordi Arnau Rubio, Marin Delavaud, Daisuke Sogawa) unbarmherzig über ihn her. Für sie ist die Frau lediglich Mittel zum Zweck. Sie lockt die Männer an, umgarnt sie - bis das Trio die Freier ausraubt. Doch der Mandarin – nicht nur wegen seines silbernen Fracks zunächst kühl und spröde wirkend – ist von anderem Kaliber.

In der kargen Arena einer Turnhalle – einer mit Medizinball, Barren und Sprossenwand bestückten Kulisse des Folterns – trotzt er den heftigen Angriffen, die seine Gefühle kappen sollen. Gnadenlos grausam nutzen die Strolche dabei ihre Übermacht aus. Den derben Tritten und Schlägen folgen Hiebe und Stiche mit schmalen Stangen. Ein Fluchtweg bietet sich für den Mandarin nicht. Sein Martyrium setzt sich in einer Strangulation fort. Schon scheint sein Ende gekommen, als ihn die Täter in einer Zinkwanne unter Wasser tauchen. Doch ihr Opfer ist zäh. Von der Liebe entflammt, kehrt immer wieder ein Fünkchen Leben in ihn zurück. Mit seinen letzten Atemzügen und der restlichen Energie in den zerbrochenen Knochen schleppt sich der Mann zur Frau, die wie gelähmt auf einem Stuhl hockt. Erlöst von ihrer Umarmung, findet er im Tod Befreiung und wird von ihr ins blaue Licht getragen.

Kammersänger Ulf Paulsen muss derweil an seiner Hebefigur, zu der er beim Schlussapplaus ansetzt, noch ein wenig üben. Doch dies nur am Rande. Denn auch der zweite Teil des ergreifenden Bartók-Abends behält die dramatische Düsternis durchweg bei. Nirgends ein Schimmer von Hoffnung in Blaubarts Burg. Die Szenerie – anfänglich nur erhellt von einer trüben Glühbirne (Bühne: Moritz Nitsche/Kostüme Judith Fischer) – erinnert später an Schauergeschichten aus der Feder von Edgar Allan Poe oder gar die Zombie-Serie „Walking Dead“. In ihr bewegt sich des Herzogs neue Frau Judith – zum Niederknien grandios Rita Kapfhammer – durch sieben geheimnisvolle Kammern, sich auf der Tour der Torturen – im Folterkeller liegen Stachelstangen im glühenden Licht, in der Waffenkammer schwingt ein Krieger des Todes eine schwarze Fahne – zunehmend dem Wahnsinn nähernd.

Der Widerwillen, mit dem ihr Blaubart die Schlüssel zu den Gemächern aushändigt, scheint seinerseits bloß kühles Kalkül zu sein. Eine Pantomime – im Hintergrund der Schatzkammer von Kajdanski inszeniert – zeigt klar: Der Herzog hat drei frühere Frauen ermordet. Ein Schicksal, das auch Judith ereilen wird. Nach der Morgendämmerung, dem Mittag und dem Abend bleibt ihr im finsteren Schatten der Wolken die Nacht vorbehalten. Angetan mit einer schillernden, reich geschmückten Totenmaske, wendet sie sich mit ihren Leidensgefährtinnen schweigend vom Herrscher der unbehaglich-gruseligen Burg ab, in deren Garten nicht Rosen oder Nelken gedeihen, sondern wo Blut die Beete tränkt und es Aschefetzen auf brennenden Schutt regnet. Zurück bleibt ein sardonisch grinsender Herzog.

Die Musik, die Béla Bartók (1881-1945) für beide Werke komponierte – „Herzog Blaubarts Burg“ ist seine einzige Oper –, ist so wuchtig wie grell, so brutal wie bizarr. Das sind keine verwöhnenden Ohrwürmer, die aus dem Orchestergraben dringen. Es ist ein zuweilen surrealer Soundtrack, der das Grauen begleitet und durch die Anhaltische Philharmonie unter Daniel Carlbergs Leitung eindrucksvoll interpretiert wird. Jede Note wirkt akzentuiert, präzise und kraftvoll. Atemlos und von den Geschehnissen auf der Bühne in den Bann gezogen, wird man auch ein Stückchen irritiert nach Hause entlassen.

Und dort gibt es hoffentlich keine Tränen, die die Wände befeuchten. Aber womöglich ebenfalls Türen, die besser verschlossen bleiben sollten – selbst wenn die Liebe manche Pforte öffnen kann.