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Heilung Therapiestunde auf dem Pferderücken

Pferde üben nicht nur Faszination aus. Sie können auch helfen.

Von Emily Engels 23.12.2016, 06:00

Rodleben/Zerbst l Ruhig und mit gutmütigem Blick steht er da. Auch als Mathias Brandenburger (5) ihn stürmisch begrüßt, lässt er sich nicht aus der Ruhe bringen. Stattdessen senkt er den Kopf und lässt sich zwischen den Nüstern streicheln. Liebevoll schnauft er seinem kleinen Besucher zu. Dieser strahlt über beide Ohren und sagt liebevoll: „Oscar“.

Oscar ist ein Therapiepferd. Jeden Tag sitzen Menschen mit verschiedenen Auffälligkeiten oder Krankheitsbildern auf ihm, zum Beispiel um Berührungsängste zu überwinden, ihre Koordination zu verbessern oder einfach ruhiger und konzentrierter zu werden.

Jens Bredemann ist Therapeut und arbeitet täglich zusammen mit Oscar und weiteren Therapiepferden. „Jedes Mal die Beziehung wachsen zu sehen, die Menschen und Pferde aufbauen können, finde ich so schön an meiner Arbeit“, sagt er. Und dann erklärt er: „Wenn Menschen zum Beispiel Schlimmes erlebt haben oder aus verschiedenen Gründen Probleme haben, Menschen zu vertrauen, können sie zu dem Pferd schnell Kontakt aufbauen – das hilft dann nach regelmäßiger Therapie auch im zwischenmenschlichen Umgang.“ Wie mit Mensch- und Pferd gearbeitet wird, richte sich jeweils nach dem Individuum.

Karola Benedix, Leiterin der Frühförderstelle der Lebenshilfe Dessau, arbeitet bereits seit 20 Jahren mit Jens Bredemann und den Pferden vom Reit- und Therapiezentrum in Rodleben zusammen. Auch mit einer Zerbster Gruppe von vier Kindern, zu denen auch Mathias Brandenburg gehört, fährt sie einmal im Monat zu dem Reiterhof. Ohne die genauen Auffälligkeiten der Kinder zu nennen, meint sie: „Oft hilft es bei motorischen Schwierigkeiten.“ Außerdem sei auffällig, wie viel ausgeglichener die Kinder nach einem Besuch bei Oscar wirken. Im Vergleich zu anderen Therapieformen, bei denen mit dem Körper gearbeitet wird, sei die Arbeit mit dem Pferd überraschend passiv. „Wenn man auf dem Rücken sitzt, muss man zwar die Balance halten, hat aber nicht wirklich das Gefühl, etwas tun zu müssen“, beschreibt Bredemann und fügt hinzu: „Obwohl es ähnliche Effekte für die Haltung hat wie Physiotherapie, ist es oft genauso wirkungsvoll und für die Kinder natürlich um einiges interessanter.“

Mathias Brandenburg pflückt mittlerweile Äpfel von den Bäumen. Natürlich keine richtigen. Während er auf Oscar sitzt, muss er mit der rechten Hand so tun, als würde er die Früchte vom Baum holen, während er mit der linken Hand zählen muss, wieviele Äpfel er bereits „gepflückt“ hat. Dabei strahlt der fünfjährige Zerbster über beide Ohren. „Das ist meine Lieblingsübung“, sagt er. „Mathias ist seit dem Sommer dabei“, erzählt Karola Benedix. Gerade wegen der kurzen Zeit sei es beeindruckend, was sich bei ihm verändert hat. „Erst war seine Sitzhaltung total angespannt und ängstlich“, beschreibt sie. Seit er die therapeutischen Reitstunden nimmt, wirke er viel ruhiger, sei zudem konzentrierter und auch an seiner Koordination habe sich viel getan.

„Die Kinder von der Frühförderstelle sitzen jeweils 15 Minuten auf Oscar“, erzählt Jens Bredemann. Was kurz erscheint, hat jedoch seinen Sinn. So erklärt Bredemann: „Man muss sich während der Sitzung extrem konzentrieren. Daher die relativ kurze Zeit.“

Für Mathias Brandenburg ist es an der Zeit, sich für heute von Oscar zu verabschieden. Jetzt ist Quentin-Finn Heinze an der Reihe. Der kann es kaum erwarten. Denn der Fünfjährige ist begeistert von Tieren – am meisten von Pferden, Kaninchen und Eseln. Beim Reiten in Rodleben ist er schon seit zwei Jahren dabei. Jahre, in denen sich seine Motorik erheblich verbessert hat, erzählt Benedix. Quentin-Finn Heinze setzt sich auf Oscar und ist ganz in seinem Element. Dem Tier vertraut er bereits vollkommen. Liebevoll beugt er sich über den kräftigen Hals des Norweger-Hengstes. Das Pferd schließt ruhig die Augen und die beiden verweilen für einen Moment in der Haltung. Spätestens ab da weiß man, was mit Mensch-Pferd-Beziehung gemeint ist.