Mobbing Die Pistole am Kopf

„Und dann kam Alex“ brachte die Ciervistischüler in Zerbst zum Nachdenken. Das Theaterstück dreht sich um Mobbing.

Von Thomas Kirchner 21.09.2016, 04:00

Zerbst l Alex hält sich eine Waffe an den Kopf, eine halbe Ewigkeit lang. Dann nimmt er die Pistole langsam herunter und beginnt zu erzählen. Er erzählt von seinen Eltern, von der Schule, von Leuten, die ihn mobben. Es ist sein Leben, seine Welt, von der er berichtet.

Alex führt sein Publikum durch verschiedene Stationen in seine Welt, eine Welt einerseits geprägt durch die Suche nach Anerkennung, Nähe und Akzeptanz, anderseits durch Alkohol, Sprachlosigkeit und Ignoranz.

„Und dann kam Alex...“, ein Stück des Ensembles „Radiks“ Tournee-Theater, bringt Themen zur Sprache, die immer wieder mit Gewalt von und unter Jugendlichen in Zusammenhang gebracht werden. Es geht um Probleme in der Familie, Perspektivlosigkeit, aber auch um Alkohol- und Drogenkonsum, Zugang zu Waffen oder einfach nur banale Langeweile.

„Wir haben das Stück schon in vielen Schulen aufgeführt, und es gab erschreckenderweise so gut wie keine Schule, wo nicht gerade ein aktueller Fall von Mobbing oder Gewalt bekannt war“, schildert Alex-Darsteller Alexander Abramyan.

„Einer sucht sich einen vermeintlich Schwächeren, beginnt ihn zu drangsalieren und zu schikanieren. Meist beginnt es harmlos, mit sich über den anderen lustig machen. Das Ganze bekommt dann eine Eigendynamik.“ Um dazu zugehören machen andere mit. Es werden immer mehr. „Es entsteht ein Gruppenzwang, der fatale Folgen haben kann“, ergänzt Schauspielerin Svenja Petermann, die im Stück in verschiedene Rollen schlüpft. Beispielsweise spielt sie Alex vermeintliche Freundin, eine Jobcenter-Mitarbeiterin oder die Sekretärin des Schulleiters.

Alex wird von seinen Peinigern gezwungen, einen alten Mann zu schlagen, tritt seine Brille kaputt, ohne zu wissen, dass die Mobber die Szenerie mit dem Smartphone filmen. Es kommt, wie es kommen muss. Der Film macht in der Schule die Runde und landet schließlich beim Direktor, der Alex zur Rede stellen will. Alex ergreift die Flucht, um am nächsten Tag zurückzukehren – mit einer Waffe.

Mit der Pistole will er seine Peiniger zwingen, die Wahrheit zu sagen. Er bedroht Schüler, die verängstigt durch die Schule laufen, zielt mit der Waffe auf die Sekretärin. Es endet, wie es begonnen hat, Alex hält sich die Pistole an den Kopf.

Es bleibt offen, wie das Theaterstück endet. Es gibt mehrere Möglichkeiten. Dieser Umstand ist gewollt und bietet nach dem Stück jede Menge Raum für Interpretationen und Diskussionen. Wie hätte die Eskalation verhindert werden können? War die Entwicklung absehbar? Wer hätte an welchem Punkt eingreifen können?

Im Anschluss besteht die Möglichkeit, mit den Akteuren über das Stück zu reden. Und die Jugendlichen haben eine Menge Fragen. Hat er die Sekretärin erschossen? Erschoss er Schüler oder am Ende sich selbst? Diese Fragen bleiben unbeantwortet, denn soweit soll es keinesfalls kommen. Es soll zeigen, wie Gewalt, Mobbing und Ignoranz außer Kontrolle geraten können.

„Das Stück soll dazu anregen, auch und gerade mit einigen dramatischen Bilder, über seine Probleme zu reden, sich einer Vertrauensperson, wie dem Sozialarbeiter, den Eltern, dem Vertrauenslehrer oder Freunden zu öffnen“, erläutert der Alex-Darsteller den Jugendlichen.

„Ich finde Mobbing und Gewalt doof. Das hat mir gut gefallen“, erzählt der elfjährige Stefan. „Wir haben so etwas schon gesehen, das ist blöd“, fügt der ebenfalls elfjährige Fritz hinzu.

„Ich fand das Theaterstück sehr gut. Das zeigt doch, was alles passieren kann“, ist die Meinung von Jakob Ost (16) zu dem Gesehenen.

Wie es sich anfühlt, gemobbt zu werden, weiß der 17-jährige Dominik Anhalm: „Ich werde selbst gemobbt, bin also das ‚Opfer‘. Ich denke, ich weiß, wovon der Alex hier spricht. Es zeigt, wie so etwas eskalieren kann. Mobbing und diese Schikanen sind so scheiße. Und mit wem soll man reden? Wird dann alles nur noch schlimmer?“

Das Stück rüttelt auf, es sensibilisiert, fordert auf nicht wegzuschauen, sich einzumischen, ein Auge auf seinen Nebenmann zu haben, zu helfen, wenn Hilfe nötig ist. 60 Minuten lang schreit Alex die Zuschauer förmlich an, „Seht nicht weg! Hier bin ich! Helft mir!“