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Muslime in Zerbst Die Sache mit dem Kopftuch

Nach dem Vortrag "Muslime in Zerbst“ gab es eine Kopftuchdiskussion. Viele Muslime sehen die Sache lockerer, als so mancher Deutscher.

Von Emily Engels 09.10.2016, 03:00

Zerbst l Rabah-Melodie Moussa schaut selbstbewusst in die Zuschauermenge. Provozierend schauen ihre braunen, aufmerksamen Augen in die Reihen. Dann sagt sie mit starker, selbstsicherer Stimme: „So gesehen ist an mir alles falsch. Mein Vater ist Moslem, ich bin jedoch Christin und habe ein uneheliches Kind.“ Natürlich meint sie das nicht so. Doch die Selbstkarikatur ist intelligent, denn sie beschreibt die Konflikte treffend, die sich in der Diskussionsrunde der Diakonie-Veranstaltung „Muslime in Zerbst“ aufgetan haben.

Denn mit den Geflüchteten sind auch viele Fragen auf den Schlepperbooten über gefährliche Balkanroute mitgereist. Wer sind die Menschen, die von dort, aus den zerbombten Städten wie Aleppo und Damaskus kommen, um in dem „Wohlstandsland“ Deutschland Schutz zu suchen? Wie gehe ich mit der fremden Kultur um? Warum tragen viele Frauen ein Kopftuch und tun sie das freiwillig? Und wie sehen Geflüchtete eigentlich „uns Deutsche“?

Einen ersten Einblick sollte bei der Diakonie-Veranstaltung der Vortrag „Der Islam erklärt – Fakten und Wissenwertes“ bieten. Der Ethnologen und Islamwissenschaftler Ronn Müller weiß, wovon er spricht. Denn der Deutsche hat das Thema nicht nur studiert, sondern ist vor einigen Jahren selbst zum Islam konvertiert – seine Frau ist Syrerin.

In dem Vortrag arbeitet er alle Aspekte ab. Er erklärt die Geschichte von Abraham, spricht von den fünf Säulen des Islam (Glaubensbekenntnis, Pflichtgebet, Pflichtabgabe, Fasten im Ramadan und Pilgerfahrt nach Mekka) und zeigt auf, wo die Religion am meisten verbreitet ist. Müller geht an den Islam sehr wissenschaftlich heran.

Dabei werfe kaum eine Religion so viele emotionale Fragen auf, wie der Islam, bestätigt auch Rabah-Melodie Moussa: „Die Gespräche arten meist in eine Diskussion aus, in der es entweder über Kopftücher und Burkas geht, oder um den Islamischen Staat (IS) und die damit verbundene Angst vor Terrorismus.“ Das zeigt sich auch in dem zweiten Teil der Veranstaltung – während der Diskussionsrunde. Auch Ronn Müller meint: „Man achtet als Mensch eben gerne aufs Extreme.“

In Zerbst läuft es auf die Kopftuchdiskussion hinaus. Ein bei der Veranstaltung anwesender Geflüchteter erklärt seine persönliche Auffassung von Kopftüchern. Und die ist viel „unextremer“, als manch einer erwarten würde. „Das Kopftuch hat überall eine unterschiedliche Bedeutung“ erklärt er. Vor allem sei es allerdings traditionell – und von den Frauen gewünscht. Wie steht es mit seiner Frau? Das beantwortet sie selbst. „Ganz lange habe ich kein Kopftuch getragen“, meint diese lächelnd. Irgendwann habe sie es dann gewollt – ihr Mann habe ihr die Entscheidung voll und ganz überlassen.

Wenn man nach den Aspekten der Toleranz und der Emanzipation geht, ist an Rabah-Melodie Moussas Geschichte überhaupt nichts falsch. Denn ihre Biographie zeigt auf, dass Religion vielseitig sein kann und das Leben nicht immer nach dem Lehrbuch läuft. „Mein Vater kommt aus dem Libanon und hat als Moslem den Wunsch meiner Mutter akzeptiert, mich in der christlichen Kirche taufen zu lassen“, sagt sie. Das sei übrigens auch bei rein muslimischen Ehepaaren – entgegen der Vorurteile – häufig der Fall. Moussa sagt schmunzelnd: „Wenn man einige Familien genauer kennt, merkt man, dass viele Frauen in Wirklichkeit die Hosen anhaben.“

Doch dann sind da auch Frauen, in deren Hause es weniger modern zugeht. So auch die Schwiegermutter von Ronn Müller. Was laut ihm eine lustige Anekdote werden soll, wirkt auf viele Zuschauer alamierend. Müller erzählt: „Neun Kinder musste sie gebären, bis sie endlich Zwillinge bekam – davon war zum Glück einer ein Junge.“ Die Verlegenheitslacher aus dem Publikum fallen spärlich aus.