1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Zerbst
  6. >
  7. Ein Fremder zerstört die Idylle

Theater Dessau Ein Fremder zerstört die Idylle

Mit Vorurteilen und Klischees spielt die schwarze Komödie „Wir sind keine Barbaren!“. Für die Premiere gab es in Dessau viel Beifall.

Von Andreas Behling 23.11.2016, 05:00

Dessau l Das Ambiente ist überhaupt nicht wohlgefühlig-einladend. Hüben wie drüben steht bloß ein Sofa im Zimmer. Kahlen Wänden fehlt jeder dekorierende Schmuck. Nicht mal ein winziger Tisch, den eine Blumenvase ziert. Barbara und Mario auf der einen Seite umgibt die gleiche Kahl- und Kargheit wie Linda und Paul auf der anderen. Für Besucher sind nicht mal ausreichend Kartoffelchips vorrätig!

Das Quartett hat sich in fast klinisch reinen Räumen eingerichtet. Ideal geeignet für Experimente. Und es ist ja durchaus eine Art Versuchsanordnung, die Philipp Löhle in seiner bitter-schwarzen Komödie „Wir sind keine Barbaren!“, die zur Premiere am Anhaltischen Theater viel Beifall erhielt, mit den beiden Paaren entwirft. Eine Wand nur trennt deren Wohnungen. Diese Grenze hat Markus Pysall (Bühnenbild/Kostüme) auf der Studiobühne des Alten Theaters für zügige Szenenwechsel verschwenkbar konstruiert.

Mögen indes die für Lustschreie durchlässigen Mauern glatt sein, brüchig sind die Beziehungen der Protagonisten untereinander. Mario (Dirk S. Greis) schenkt seiner Barbara (Illi Oehlmann) zum Geburtstag nicht das erhoffte Klappfahrrad, sondern einen Flachbildfernseher. „Denn du willst doch auch wissen, wo der Ball gerade ist und den Spielstand endlich lesen können“, begründet er die Wahl. Nur bleibt die Technik für ihn, der laute Geräusche für leise Elektroautos entwirft, ein Buch mit sieben Siegeln und die Mattscheibe folglich dunkel.

Ultrascharf sind zuweilen bloß Yoga-Lehrerin Linda (Mirjana Milosavljević) und Paul (Oliver Seidel) aufeinander. Die Idylle – so sie jemals eine wäre, wenn es selbst deftige Eisbeine in der Variante für Veganer gibt – gerät vollends ins Wanken, als ein Fremder von Barbara aufgenommen wird – und für mehr als nur eine Nacht Asyl erhält. Wie umgehen mit Bobo, der womöglich auch Klint heißt? Verdient der (für das Publikum unsichtbar bleibende) Mann, über dessen Staatsangehörigkeit (Asiat oder Afrikaner?) und Hautfarbe (ganz schwarz oder eher ein Nougatton?) tüchtig gestritten wird, uneingeschränktes Mitleid? Oder stellt er eine Bedrohung dar?

Die Inszenierung von Wolfgang Hagemann liefert keine letztgültigen Antworten. Das Stück sorgt für eine unbehaglich machende Ratlosigkeit. Und regt zum Grübeln an: Will man sich einreihen in die Phalanx der neun Gartenzwerge – das Ensemble „Die Huskies“ steht als Heimatchor keineswegs im Schatten der professionellen Schauspieler – und Volkes Stimme verstärken? Das wäre irgendwie auch grauselig: Eine gleichermaßen verschwörerische wie verschworene Gemeinschaft zu bilden, die durchschnittlich drei Hobbys frönt und 73 Jahre alt wird. Da muss doch mehr sein im Leben, als sich mannigfaltigen Ängsten hinzugeben!

Dass Löhle dem politisch aktuellen Plot offenbar nicht durchgängig vertraut, ist schade. Die Wendung zum Krimi erscheint nicht zwingend. Hat dann doch Mario seine Barbara mit dem nie richtig funktionierenden TV-Gerät erschlagen, weil sie mit Bobo/Klint ein Verhältnis anfing? Als deren gerade arbeitslos gewordene Schwester Anna (Oehlmann) auftaucht und entlastende Momente für den (vor-)verurteilten Fremdling aufzählt, springt er ihr jedenfalls entnervt an die Gurgel.

Wer will, kann darin ein Eingeständnis von Schuld sehen. Und während drüben schon wieder ein anders Pärchen eingezogen ist, finden Linda und Paul ihre eigene Lösung. Sie ergreifen die Flucht und kriechen in den in der eigenen Wohnung angelegten Bunker. Vor der geschlossenen Klappe scharen sich derweil die Zwerge zusammen und blicken auf eine miniaturisierte Kunststoff-Giraffe herunter und singen: „Alle wollen haben, was WIR haben/ WIR können nicht noch mehr abgeben / WIR lieben Kontrolle / WIR sind hier/ Alles, was recht ist, gehört uns.“

  Nächste Vorstellungen: Mittwoch, 23. November, um 20 Uhr, 30. November (20 Uhr), 9. Dezember (20 Uhr), 21. Dezember (18 Uhr).