1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Zerbst
  6. >
  7. Aussagewirrwarr bringt Freispruch

Körperverletzung Aussagewirrwarr bringt Freispruch

Trunkenheit, widersprüchliche Aussagen und Ungenauigkeit bringen Freispruch für zwei Angeklagte in Zerbst.

Von Bernd Kaufholz 22.09.2016, 05:00

Zerbst l Rechtsanwältin Regina Schüttauf fasste in ihrem Plädoyer das Ergebnis der Hauptverhandlung, bei der es um gefährliche Körperverletzung gegangen war, in wenigen Worten zusammen: „Irgendwie waren alle besoffen. Irgendwie waren in der Tatnacht irgendwelche Menschen beteiligt. Irgendwie wurde der Zeuge verletzt. Irgendwie wurde ein Auto beschädigt.“

Um es gleich vorweg zu nehmen: Genau dieses „Irgendwie“ reichte Strafrichter Thomas Krille nicht aus, um die Angeklagten Martin D. und Rainer P. zu verurteilen. Dabei hatte die Anklage der Dessau-Roßlauer Staatsanwaltschaft recht plausibel geklungen. Am 26. September des vergangenen Jahres sei in einem Klubraum in Coswig Party gemacht worden. Gegen vier Uhr morgens soll D. den Geschädigten Gino M. vom Fahrrad gestoßen und ihm mit der Faust gegen den Hinterkopf geschlagen haben. Als M. zu Fall gekommen war, habe der 25-Jährige erneut mehrmals zugeschlagen und zugetreten. Rainer P. habe im Zuge des weiteren Geschehens zweimal mit der Faust mitgemischt.

Doch die beiden Angeklagten schilderten die Vorfälle in jener Nacht völlig anders. Das einzige, was ihre Aussagen mit denen des Opfers und aller weiteren Zeugen verband, war die Tatsache, dass alle mehr oder weniger sternhagelvoll waren.

P. konnte sich zumindest noch an den Anfang - einer verbalen Auseinandersetzung - erinnern. „Wir haben über Ausländerpolitik gesprochen“, so der 23-Jährige. „Dabei wurde Gino M. beleidigend. „Ich habe ihm empfohlen, dass er besser abhauen soll, bevor noch irgendjemand ausrastet.“ Der stark alkoholisierte 27-Jährige habe ihn daraufhin über den Lenker hinweg geschlagen und sei dann mit seinem Fahrrad weg. „Ich habe kurz darauf ein Scheppern gehört. Ich bin um die Ecke gelaufen. Dort war M. gegen die linke Seite eines Autos gefahren. Das Fahrrad habe noch dort gelegen. Kurz darauf habe M. aus der Distanz weitere Beleidigungen gerufen und den Stinkefinger gezeigt. „Ich bin zu ihm hin, um zu schlichten. Da hat er mir eine reingehauen.“ Aber das sei für ihn „keine große Sache gewesen“. Angezeigt hätte er Gino M. dafür nicht.

Ob er sich vorstellen könne, warum M. ihn dann im Gegenzug angezeigt habe, wollte Richter Krille wissen. „M. hat keine Arbeit, kein Geld und er muss den Schaden am Auto bezahlen. Wenn er nur so ans Auto gefahren ist, muss er doch in die eigene Tasche fassen.“

Auch der zweite Angeklagte, Martin D., erinnerte sich an die „Ausländerdiskussion“, bei der er von Dino M. „als Nazi beschimpft“ worden sei. „Solche Diskussionen gab es mit ihm schon öfter. Aber es sind immer nur verbale Auseinandersetzungen gewesen. Nicht besonders nett, aber nie tätlich.“

Das vermeintliche Opfer, Gino M. sagte, dass D. „immer auf Stunk aus“ sei. Er selbst sei in Bezug auf Ausländer tolerant. „Ich habe während der Diskussion gesagt, ich lasse mir den Mund nicht verbieten. Das sei wohl der Anlass dafür gewesen, dass ihn derjenige, der links von ihm stand geschlagen und getreten habe.

„Wer war das?“, wollte der Richter wissen." - „Ich glaube Martin D.“

„Was heißt, ich glaube?“ - „Na, weil er doch links von mir stand.“

„Habe sie ihn denn genau erkannt?“ - „Nein. Heute bin ich auch verunsichert. Ich möchte keinen Falschen beschuldigen.“

Gegen das Auto gestürzt sei er, weil er „von einer Person verfolgt worden“ sei. „Derjenige hat mich gegen das Fahrzeug geschubst und verkloppt.“ Doch auch in diesem Fall könne er nicht sagen, wer das gewesen ist. „Es fällt mir schwer, mich zu erinnern. Ich war nahezu volltrunken. Später hat mir ein Bekannter erzählt, dass der Schläger weder D. noch P. gewesen sei, sondern ein gewisser Matthias. Vom Richter zum Alkoholisierunggrad befragt: „Hatten sie das Gefühl, dass es reicht?“. antwortete M.: „Ach, da geht immer noch was.“

Auch der 27 Jahre alte Autobesitzer, der als Zeuge befragt wurde, räumte ein: „Ich war voll. Ich habe aber gesehen, dass M. gegen mein Auto gefahren ist. Aber, ob einer hinter ihm her war, habe ich nicht mitbekommen.“ Einen noch größeren Blackout hatte ein 33-Jähriger aus Coswig: „Ich hatte mir die Birne zugeklatscht. Ich weiß eigentlich gar nichts mehr. Ich war voll raus.“

Dem Gericht blieb letztlich nur, die Angeklagten freizusprechen. Und selbst der Staatsanwalt war zuvor von seiner Anklage abgerückt. Richter Krille: „Die Aussagen der Zeugen waren wertlos. Der Alkoholisierungsgrad aller Beteiligten war so groß, dass eine Sachverhaltsaufklärung unmöglich war.“