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Ohne Masterplan Tom Schilling über sein Debütalbum

Ochsenknecht, Tukur, Liefers, Schweighöfer - immer mehr populäre Schauspieler versuchen sich als Musiker. Tom "Oh Boy" Schilling sieht sich selbst nicht als tollen Sänger oder Gitarristen. Aber seine Songs auf dem Debütalbum "Vilnius" - die findet er "unangreifbar".

Von Interview: Werner Herpell, dpa 21.04.2017, 08:22

Berlin (dpa) - Erst vor kurzem war er im TV-Dreiteiler "Der gleiche Himmel" als smarter Verführer im Auftrag der DDR zu sehen. Jetzt veröffentlicht Schauspieler Tom Schilling ("Oh Boy", "Unsere Mütter - unsere Väter") sein erstes Singer-Songwriter-Album "Vilnius". Die Deutsche Presse-Agentur hat in Berlin mit dem 35-Jährigen über seine Musik, mäkelnde Kritiker, Vorbilder und Zukunftspläne gesprochen.

Frage: Von Uwe Ochsenknecht bis Ulrich Tukur, von Jan Josef Liefers bis Matthias Schweighöfer - immer mehr bekannte Schauspieler singen irgendwann. Warum macht jetzt auch Tom Schilling eine Platte?

Antwort: Weil ich Songs geschrieben habe und eine Band gefunden habe, von der ich glaube, dass wir zusammen eine Musik machen, die anders ist als was es schon gibt. Irgendwann bin ich zu der Erkenntnis gekommen, dass wir eine Daseinsberechtigung haben. Ich habe lange mit mir gehadert, ob das wirklich nötig ist.

Frage: Und was passiert, wenn die Kritiker jetzt über Sie herfallen?

Antwort: Werden wir gebasht? Ja, wahrscheinlich, so wie alle singenden Schauspieler gebasht werden. Es wird richtig weh tun, denn diese Platte ist mir wichtig, weil sie so persönlich ist. Ich bin kein toller Sänger, auch kein toller Gitarrist. Ich könnte den ganzen Veröffentlichungen, die tagtäglich erscheinen, nichts Neues hinzufügen. Aber ich habe einen anderen Ansatz, Songs zu schreiben, als ich gerade in der populären Musik sehe. Die Band, der Produzent, ich selbst - wir denken, dass die Platte für uns unangreifbar ist.

Frage: Vor ein paar Jahren haben Sie schon mal eine Platte in Angriff genommen und dann verworfen. Was ist passiert?

Antwort: Am Ende des Prozesses wusste ich, wie es sich nicht anhören sollte! Dann habe ich den Plan eine Weile aufgegeben, weil ich kein Album herausbringen wollte, das ich nicht zehn Jahre später noch vertreten kann. Am Ende kam mir der glückliche Zufall zugute, dass ich durch den Film "Oh Boy" diese tollen Musiker kennengelernt habe, die meine Freunde wurden und mit denen ich ganz ergebnislos Musik gemacht habe. Da war kein Masterplan im Raum. Mit den Jazz Kids fand ich den Sound, den ich mir vorgestellt hatte.

Frage: Das "Vilnius"-Albumcover stammt vom berühmten Maler Gerhard Richter. Sie hätten für einen höheren Wiedererkennungswert auch Ihr bekanntes Schauspieler-Gesicht abbilden lassen können...

Antwort: Das ist eine Platte, die ohne Kalkül entstanden ist. Dazu gehört auch dieses Cover. Für mich war immer klar, dass es zeitlos sein sollte, und mir war auch klar, dass es ein Seestück von Richter sein sollte. An der Platte ist alles persönlich aufgeladen. Dafür brauchte es auf der Hülle nicht mein Gesicht. So ein halbwegs depressives Seestück von Richter ist vielleicht schlechter für die Verkaufsstrategie, aber ich denke, dass es die Leute stärker erreicht.

Frage: Welche Rolle spielen musikalische Vorbilder für Sie?

Antwort: Ich habe nicht bewusst kopiert. Sven Regener von Element Of Crime ist immer ein großes Vorbild von mir gewesen, daher gibt es sicherlich ein paar Dinge, die schon fast Reminiszenzen an ihn sind. Es gibt kompositorisch aber auch Dinge, die ich bei Bob Dylan geklaut habe. Der Mann hat so viele Songs geschrieben, er wird's mir verzeihen.

Frage: Der Opener "Kein Liebeslied" überrascht als Wutausbruch. Wie kam es zu diesem Song?

Antwort: Das war mal ein ganz klassisches Liebeslied. Liebeslieder sind bei mir wohl immer Lieder übers Verlassenwerden. Aber dieses war so furchtbar larmoyant, dass ich den Text nicht mehr hören konnte, die Komposition aber noch mochte. Ich kam dann über Screamin' Jay Hawkins darauf, dass ich mit diesem Text genau das Gegenteil machen musste. Deshalb habe ich versucht, eine Hass-Hymne zu schreiben.

Frage: "Draußen am See" erinnert an Nick Caves Mordballade "Where The Wild Roses Grow". Ist dieser Sänger Ihr größtes Idol?

Antwort: Das ist auf jeden Fall die Musik, die mir am nächsten ist. Man kann schon sagen, dass dieses Stück sehr Cave-haft rüberkommt - der 6/8-Rhythmus, in Moll, die Thematik eines Frauenmordes. Aber letztlich denke ich, da ich ja schon den Woyzeck gespielt habe - es ist eher eine Woyzeck-Referenz.

Frage: Wird man Sie jetzt dauerhaft als Sänger erleben?

Antwort: Ich sehe mich zuerst als Schauspieler. Ich denke, auch weil die Platte viel Kraft gekostet hat, dass ich damit erstmal am Ende bin. Es wird bestimmt fünf Jahre dauern, bis ich wieder genug Lieder geschrieben habe. Ich habe zwar ein latent schlechtes Gewissen, dass ich nicht mehr schreibe. Aber so läuft's bei mir nicht, ich muss die Sachen entstehen lassen. Also wenn nochmal eine Platte entsteht, dann entsteht sie - wenn nicht, dann soll diese die einzige gewesen sein.

ZUR PERSON: Der Schauspieler Tom Schilling wurde am 10. Februar 1982 in Berlin geboren. Zu seiner umfangreichen Filmografie zählen "Crazy" (2000), "Elementarteilchen" (2006), "Der Baader Meinhof Komplex" (2008) und mehrere "Tatort"-Folgen. Seine größten Erfolge waren Hauptrollen in der lakonischen Berlin-Komödie "Oh Boy" (2012) und der Fernsehserie "Unsere Mütter - unsere Väter". Zuletzt trat der 35-Jährige als "Ost-Romeo" im TV-Dreiteiler "Der gleiche Himmel" auf. Schilling lebt mit Familie im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg.

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