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Tag der Geschwister Lebenslange Beziehung zwischen Liebe und Hass

80 Prozent der Kinder wachsen mit mindestens einem Bruder oder einer Schwester auf. Sie prägen einander, wie niemand sonst. Sie lernen voneinander und sie streiten sich. Die Beziehung zwischen Geschwistern hält ein Leben.

Von Anja Jürges 10.04.2014, 11:53

Magdeburg | Sie schlafen nebeneinander ein, sie sprechen das selbe Tischgebet, sie essen den gleichen Vanillepudding nach Uromas Rezept. Trotzdem können Geschwister grundverschieden sein. Gleiches Erbgut und gleiche soziale Umgebung bedingen mitnichten gleiche Charaktere.

Das weiß auch Hans-Henning Flechtner. Er ist Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin des Kindes- und Jugendalters am Uniklinikum Magdeburg und sagt: "Die Unterschiedlichkeiten ergeben sich beispielsweise durch unterschiedliche Temperamente und Befähigungen." Er weiß auch um die Vorteile, die diese Verschiedenheiten für die Entwicklung eines Kindes mit sich bringen.

"Mit Geschwistern aufzuwachsen heißt, in einem größeren Familienverband mit mehr Vielfalt, aber auch mit mehr Gemeinsamkeit beispielsweise gegenüber den Eltern, groß zu werden", sagt Flechtner. In einem solchen Verband müssten Kinder sowohl das Miteinander als auch die Möglichkeiten der Abgrenzung lernen, sich durchsetzen und sozialen Ausgleich finden. "Das können Einzelkinder naturgemäß schlechter und müssen diese Kompetenzen in anderen Bereichen wie Kindergarten und Schule erlernen."

Erprobte Rollen halten ein Leben lang

Doch großer Bruder oder große Schwester werden ist nicht einfach. Oft muss das erstgeborene Kind nach der Geburt des Geschwisterchens um die Aufmerksamkeit der Eltern kämpfen. "Gleichzeitig bietet diese Konstellation die Möglichkeit, als der oder die Große Dinge zugestanden zu bekommen, die der oder die Kleine eben noch nicht darf", sagt Flechtner.

Die jüngeren Geschwister hingegen fühlen sich häufig zurückgesetzt, da sie bestimmte Dinge noch nicht machen dürfen. "Gleichzeitig bekommen sie mehr Hilfe von den Älteren", sagt Flechtner.

In der Kindheit erprobte Rollenpaare - der Große und die Kleine, die Hübsche und die Unscheinbare, der Ruhige und die Aufmüpfige – halten sich oft bis in das Erwachsenenalter. In der Kindheit sind sie ein Spielfeld, um sich auszuprobieren und Nischen zu finden. "Häufig gibt es diese Rollen auch unter erwachsenen Geschwistern noch, sie sind aber nicht als \'fest betoniert\' zu betrachten", sagt Flechtner.


Geschwister beeinflussen das Leben

Laut statista.com sagen 27 Prozent der Frauen, ihre Geschwister hätten ihr Leben besonders stark beeinflusst. Knapp jeder vierte Mann sieht das genauso. Doch wie beeinflussen sich Geschwister gegenseitig? Wie lernen sie voneinander?

"Hat ein Geschwisterteil Defizite in einem Bereich, den der andere gut beherrscht, kann das beiden Seiten helfen, für sich ein Maß zu finden", sagt Hans-Henning Flechtner. Der Altersunterschied spielt eine große Rolle. Der große Bruder nimmt seine kleine Schwester mit auf den Bolzplatz, die kleine Schwester schaut der großen auf die Finger, wenn sie die Puppe wickelt. "Geschwister lernen im sozialen Kontext und in Konflikten", sagt Flechtner.

Im einen Moment lieben sie sich, im nächsten sind sie Rivalen. Der Schriftsteller Kurt Tucholksy hat es so formuliert: "Indianer sind entweder auf dem Kriegspfad oder rauchen die Friedenspfeife. Geschwister können beides." Ein Leben lang.