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NSA-Affäre Jan Korte: "Überwachung erzeugt Duckmäuser"

Die Bundesregierung tut nichts zur Aufklärung der NSA-Affäre, kritisiert der Linken-Parlamentarier Jan Korte aus Anhalt im Volksstimme-Interview. Mit ihm sprach Steffen Honig.

18.06.2014, 01:19

Volksstimme: NSA-Enthüllungen aus Snowdens Akten und kein Ende: Immer mehr kommen Mauscheleien zwischen dem amerikanischen Dienst und dem BND ans Licht. Die Opposition wettert, der Untersuchungsausschuss ermittelt vor sich hin - mehr passiert offenbar nicht.
Jan Korte: In der Tat passiert von Seiten der Bundesregierung gar nichts. Das ist der Kern: die Regierung und die sie tragenden Fraktionen von CDU und SPD sind nicht gewillt, hier Licht ins Dunkel zu bringen. Das ist angesichts der Fülle von Enthüllungen nicht mehr hinnehmbar. Hier ist endlich politisches Handeln gefragt.

Der Bundesnachrichtendienst rückt immer stärker selbst in den Fokus: Er soll Internetverbindungen in 195 Länder ausspioniert haben. Was ist da Ihrer Meinung nach dran?
Wahrscheinlich stimmt das alles. Seit einem guten Jahr, als Edward Snowden lobenswerterweise alles publik gemacht hat, wurde noch nichts widerlegt. Das Grundproblem bei der Bundesregierung und den deutschen Diensten ist, dass sie im Grunde genauso denken wie die NSA und am liebsten genauso handeln würden. Ich denke, das Gegenteil wäre richtig: weniger Datensammlung, weniger Ausspähung, Stärkung des Rechtsstaates. Deutschland sollte erster Überwachungsverweigerer sein. Das wäre die richtige Antwort.

Innenminister Thomas de Maizière sieht offenbar die Gefahren woanders - er will soziale Netzwerke in Echtzeit überwachen lassen. Die Linke läuft dagegen Sturm, doch was spricht dagegen, wenn es der Sicherheit dient?
Bei allen Überwachungsmethoden, die in den vergangenen Jahren neu eingeführt wurden, ist nirgendwo der Nachweis erbracht worden, dass sie substanziell mehr Sicherheit gebracht hätten. Es ist die alte demokratische Grundregel: Der Zweck heiligt nicht die Mittel. Nicht alles, was technisch und vielleicht auch juristisch zulässig ist, muss man auch tun. Der Staat muss beizeiten erkennen, dass die Verhältnismäßigkeit nicht stimmt, und das ändern. Der Innenminister will ausgerechnet in dieser Situation Mittel lockermachen, um technischen Anschluss an die NSA zu bekommen - das halte ich für aberwitzig und vor allem gefährlich.

Nun hat Generalbundesanwalt Harald Range wegen des abgehörten Merkel-Handys Ermittlungen eingeleitet. Ein Placebo oder echter Aufklärungsgewinn?
Das hat zwar Ewigkeiten gedauert - aber immerhin passiert etwas, auch wenn ich die Zwei-Klassen-Ermittlungen kritisiere: Wegen des Handys der Bundeskanzlerin wird ermittelt, aber es werden ja auch Millionen anderer Bürger weiter überwacht. Dort passiert gar nichts. Und das geht nicht. Es muss in Gänze dagegen vorgegangen und politisch ein Zeichen gesetzt werden.

Sehen Sie noch Chancen für eine Snowden-Vernehmung in Deutschland?
Das wird ganz bewusst von der Bundesregierung und den Regierungsfraktionen hintertrieben. Wir hatten den machbaren Vorschlag unterbreitet, Edward Snowden nach § 22 des Aufenthaltsgesetzes in Deutschland aufzunehmen und anzuhören. Das ist leider von der Mehrheit im Bundestag nicht gewollt worden und ist ein Stück weit bezeichnend: Mit der Begründung, dass es zu Verstimmungen im transatlantischen Verhältnis kommen könnte, wird einfach auf Aufklärung verzichtet. Ich finde man muss an dieser Stelle begrenzte Verstimmungen mit den USA in Kauf nehmen, um die Wahrheit ans Licht zu bringen. Dafür ist Snowden mit seinem Wissen einer der wesentlichen Zeugen.

Es entsteht der Eindruck, dass Linke und Grüne von der Großen Koalition an die Wand gedrückt werden. Fühlen Sie sich ohnmächtig?
Ohnmächtig nicht, genervt schon. Es gibt eine 80-Prozent-Mehrheit von Union und SPD im Parlament, die ihre größte Aufgabe darin sieht, die Bundesregierung hoch zu loben und ansonsten alles nach dem Motto "Mutti wird´s schon regeln" laufen zu lassen. Und die Bundesregierung kommt ihrer Schutzpflicht für die Grundrechte, die unter großen Mühen erkämpft wurden, nicht nach. Das ist der eigentliche Skandal. Gefragt wäre eine deutliche Regierungserklärung der Kanzlerin: Was sind denn die Ergebnisse ihrer Gespräche mit der US-Spitze, hat sie überhaupt welche geführt? Was ist mit den groß angekündigten Fragebögen geschehen, die in die USA verschickt wurden? Nichts passiert. Dieses passive Verhalten gegenüber unseren "Freunden" hat schon etwas von der "unverbrüchlichen Freundschaft" mit der Sowjetunion aus DDR-Zeiten, von der mir des Öfteren berichtet wurde.

Welche Konsequenz ziehen Sie daraus?
Immer mehr Überwachung erzeugt Duckmäusertum, heißt das Ende der freien Kommunikation und bedeutet auch das Ende des Aufbegehrens gegen Ungerechtigkeit. Und das bringt die Demokratie in eine reale Gefahr. Ich glaube, es ist Zeit für eine neue Bürgerbewegung in diesem Land. Diese sollte nicht nur von der Opposition, sondern auch von Verfassungsrechtlern, Journalistenverbänden und der Bevölkerung gemeinsam getragen werden.