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Bundestag will bis 2015 ein Gesetz auf den Weg bringen Sterbehilfe aus der Tabuzone holen

Zur Sterbehilfe gibt es in Deutschland keine gesetzlichen Regelungen.
Das will der Bundestag ändern. Der Druck aus der Bevölkerung ist da,
wenn auch regional unterschiedlich stark. Rund 82 Prozent der
Ostdeutschen wünschen sich laut einer Forsa-Umfrage die Möglichkeit von
Sterbehilfe, in Westdeutschland sind es dagegen nur 67 Prozent.

Von Steffen Honig 16.10.2014, 03:09

Magdeburg | Udo Reiter ist tot. Er ist vor wenigen Tagen selbstbestimmt aus dem Leben gegangen. Mit 70 Jahren, nach einer sehr erfolgreichen beruflichen Laufbahn als MDR-Intendant. Doch war der Bayer seit der Jugendzeit nach einem Unfall an den Rollstuhl gefesselt. Aktive Sterbehilfe war für Reiter nie ein strafbares Tabu, das sie in der Bundesrepublik noch immer darstellt. In Anspruch nehmen konnte sie Udo Reiter deshalb nicht, jedenfalls nicht legal.

Der Bundestag will nun ein Sterbehilfe-Gesetz schaffen. Ähnlich wie bei der Präimplantationsdiagnostik (PID) - der Untersuchung eines außerhalb des Körpers erzeugten Embryos vor dessen Implantation in die weibliche Gebärmutter - soll es dabei keinen Fraktionszwang geben. 2011 hatte der Bundestag einem überparteilichen Gesetzentwurf zugestimmt, der PID erlaubt, wenn durch genetische Veranlagung der Eltern eine schwerwiegende Erbkrankheit des Kindes oder eine Tot- oder Fehlgeburt zu erwarten wären.

So wie in diesem Fall für das Gewissen hat eine Gruppe von sechs Abgeordneten von SPD und CDU einen Mittelweg zwischen Verbot und Freigabe erarbeitet. Demnach soll Sterbehilfe durch Mediziner erlaubt werden. Autoren von CDU-Seite sind Peter Hintze, Katherina Reiche und Dagmar Wöhrl. Für die SPD zeichnen Carola Reimann, Karl Lauterbach und der Magdeburger Burkhard Lischka verantwortlich.

Lischka, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, sagt zum Anliegen des der Volksstimme vorliegenden Papiers, das heute in Berlin vorgestellt wird: "Der Rigorismus beim Verbot der Sterbehilfe kann ein grausames Sterben zur Folge haben. Es gibt keine Pflicht auf Leben und keine Pflicht, elendig zu verrecken."

"Es muss einen letzten Freiraum ärztlichen Ermessens geben." - Burkhard Lischka, Magdeburger SPD-Bundestagsabgeordneter

Der SPD-Abgeordnete plädiert mit seinen fünf Kollegen in ihrem dreiseitigen Papier für die Zulassung eines "ärztlich assistierten Suizids". Die Gruppe begründet dies mit dem Selbstbestimmungsrecht der Patienten und der Rechtssicherheit für Ärzte in der Therapiefreiheit für todkranke Menschen. Lischka führt aus: "Es muss einen letzten Freiraum mitfühlenden ärztlichen Ermessens geben." Der SPD-Politiker nennt einen weiteren Grund für die parlamentarische Initiative: "Wir wollen nicht, dass Todkranke zum Sterben ins Ausland fahren müssen." Etwa in die Schweiz, wo der Verein "Dignitas" organisierte Sterbehilfe leistet.

Der Magdeburger CDU-Bundestagsabgeordnete Tino Sorge, Mitglied im Gesundheitsausschuss, spricht sich gegen eine "Schwarz-Weiß-Debatte" aus und macht gegenüber der Volksstimme deutlich, bei der Sterbehilfe kein "Hardliner" zu sein, die es in jeder Fraktion gibt. "Ich gehöre nicht zu denjenigen, die bei diesem Thema mit dem moralischen Zeigefinger argumentieren."

Zu einem selbstbestimmten Leben gehört eben auch, am Ende des Lebens selbständig Entscheidungen zu treffen, selbst wenn es sich dabei um Grenzsituationen handelt." Aus Besuchen in Pflegeheimen und Gesprächen mit unheilbar Erkrankten wisse er um die "Angst der Betroffenen vor einem Dahinscheiden unter Schmerzen und dem Verlust, selbstbestimmt entscheiden zu dürfen".

Sorge sagt aber auch entschieden: "Ich bin für eine gewisse Liberalisierung, aber entschieden dagegen, kommerziellen Sterbehilfeanbietern Tür und Tor zu öffnen. Vielmehr geht es darum, bei dieser schwierigen Problematik gesetzliche Regelungen zu schaffen, Voraussetzungen zu definieren und Ärzten, z.B. bei unheilbar kranken Patienten, Möglichkeiten der Begleitung zu eröffnen. Gleichzeitig gilt es zu verhindern, dass ältere Menschen aus dem Leben scheiden wollen, weil sie das Gefühl haben, womöglich anderen zur Last zu fallen."

Der Magdeburger CDU-Parlamentarier plädiert für einen vermittelnden Ansatz. Als Beispiel nennt Sorge - wie auch Lischka - den US-Bundesstaat Oregon, wo es seit 17 Jahren einen klar definierten rechtlichen Rahmen zur Sterbehilfe gebe. Darin ist etwa ein zweites ärztliches Gutachten vorgeschrieben.

"Bedarf an Neuregelung des assistierten Sterbens nicht erkenntlich." - Simone Heinemann-Meerz, Präsidentin der Ärztekammer Sachsen-Anhalt

Für die Ärztekammer Sachsen-Anhalts ist die ganze Debatte überflüssig. Präsidentin Dr. Simone Heinemann-Meerz bekundet auf Nachfrage: "Ein Bedarf an Neuregelung des assistierten Sterbens ist fu¨r uns nicht erkenntlich. Das Strafrecht und die Berufsordnung stellen eine ausreichende gesetzliche Grundlage fu¨r das Arzt-Patienten-Verhältnis am Ende eines Behandlungsverhältnisses dar."

Ein kleines Türchen lässt aber auch die Ärzte-Präsidentin offen: Eine Schmerztherapie, die das Verkürzen der Lebenszeit in Kauf nimmt, müsse möglich sein.