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Parlamentswahlen Vieles spricht für neuen Machtkampf in der Ukraine

Die klare Mehrheit der Ukrainer will Reformen und sich am Westen
orientieren - das ist das Signal der Parlamentswahl. Um dem Wählerwillen
Rechnung zu tragen, werden Poroschenko-Block und Volksfront koalieren
müssen. Eine schwierige Allianz.

Von Steffen Honig 28.10.2014, 02:13

Kiew | Nicht dass die pro-westlichen Parteien gesiegt haben ist die Überraschung, sondern mit welchen Wähler-Prozenten. Keine Umfrage hatte darauf hingedeutet, dass die Volksfront von Ministerpräsident Arseni Jazenjuk fast ein Viertel der Stimmen würde einfahren können.

Der Poroschenko-Block war weit stärker erwartet worden. Möglicherweise hat es sich gerächt, Vitali Klitschko zur Galionsfigur des Bündnisses zu machen, obwohl der Kiewer Bürgermeister gar nicht ins Parlament wollte. Der Wahlsonntag hat vor allem Jazenjuks Position gestärkt. Premier sollte er aber ohnehin bleiben.

Poroschenko ist der fleischgewordene Kompromiss, Jazenjuk dagegen ein scharfer Propagandist. Gegensätze, die die Koalition sprengen können. Als der Präsident im Krieg um die Ostukraine zu den Minsker direkten Friedensverhandlungen mit den Russen überging, geißelte Jazenjuk das als "politischen Fehler". Immerhin brachte dieser vermeintliche Fehler den - brüchigen Waffenstillstand - in der Ostukraine. Kiew und Moskau reden wenigstens wieder miteinander, wenn auch häufig aneinander vorbei.

Ukraine braucht einen Gasvertrag mit Russland

Der Umgang mit Russland ist ein entscheidender Punkt, an dem Proschenko und Jazenjuk auseinander liegen. Doch will die Ukraine die Gasversorgung über den Winter sichern, muss ein Vertrag mit Moskau her. Poroschenko mit seiner Dialogbereitschaft ist nahe dran.

Jazenjunk hätte wohl in Moskau derzeit nicht mal aus dem Flugzeug steigen dürfen. Der Premier sieht in Russland die Ursache der ukrainsichen Misere. "Putin will die Sowjetuion wiedererrichten, das ist seine historische Mission", wettert Jazenjuk gern.

Das kommt offenbar bei vielen Ukrainern an: Die Kommunisten sind aus dem Parlament geflogen, weil alles, was nur entfernt nach Restaurierung der kommunistischen Sowjet- union riecht, nicht mehr in Frage kommt.

Preiserhöhungen treffen das ukrainische Volk

Doch zu scharf nationalistisch oder gar neofaschistisch soll es auch nicht sein. Die entsprechenden Parteien haben bei der Wahl weit schlechter abgeschnitten, als die Prognosen es vermuten ließen. Das straft die russische Propaganda Lügen, die ukrainische Aktivisten seit Monaten als Faschisten darstellt.

Jazenjuk trifft auch mit anderen Zuspitzungen ins Schwarze. Wie mit seiner verknappten Bilanz der zurückliegenden schicksalhaften Monate in der Ukraine: "Eine Revolution, ein Krieg und zwei Wahlen sind eine Menge für ein Land." Es wird noch dicker kommen.

Schon Wochen vor der Wahl hatte Ministerpräsindet Jazenjuk Steuer- und Preiserhöhungen angekündigt. Die werden das breite Volk treffen. Den Einfluss der wirtschaftlich dominierenden Oligarchen-Schicht will Jazenjuk über "parlamentarische Maßnahmen begrenzen". Da könnte er direkt beim Präsidenten mit seinem milliardenschweren Wirtschafts-imperium starten.

Säuberungsgesetz bietet Zündstoff

Während hier eine weitere Kluft zwischen den Wahlgewinnern deutlich wird, waren sie sich schon davor bei der "Lustration" (Säuberung) der ukrainischen Gesellschaft einig. Der Staatsdienst soll von allen Amtsträgern "gesäubert" werden, die unter dem gestürzten Präsidenten Viktor Janukowitsch Unheil angerichtet haben. Das Gesetz darüber wurde vom ukrainischen Parlament noch kurz vor der Wahl verabschiedet.

Das bietet gesellschaftlichen Zündstoff. Auch Regierungschef und Staatsoberhaupt waren Teil des früheren politischen Systems, wenn auch nicht auf Seiten von Janukowitsch.

Der Maßstab für den Erfolg von Präsident und Premier ist allerdings, wie es mit der endemischen Korruption, die sämtliche Lebensbereiche durchdringt, fertig wird. Gelingt es innerhalb der nächsten Monate nicht, Ansätze einer Rechtsstaatlichkeit zu entwickeln, könnte sich der Zorn der Ukrainer auf Poroschenko und Jazenjuk richten. Sie werden nichts schenken, wenn es darum geht, die eigene Macht zu sichern.