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Skurrile Winterloch-Geschichten Brötchenkrieg und Rattenfänger

Es gilt die Regel: Wer sich in das Winterloch hineinbegibt, kommt darin um.

Von Jörn Wegner 19.12.2014, 17:39

Magdeburg | Wenn es draußen kälter wird und die ersten Weihnachtsmärkte öffnen, wird die Nachrichtenlage spürbar dünner. Dann wird es auf den Hinterbänken der Parlamente und in den Ortsvereinen der Parteien lebendig. Bislang unbeachtete Politiker wittern ihre Chance auf etwas Medienaufmerksamkeit und beglücken die Redaktionen mit oft abstrusen Vorschlägen. Doch die Geschichte zeigt: Genützt hat es niemandem.

Dezember 2008: Geschlossene Gesellschaft

Der Weg zur Macht ist steinig. Das war 2008 auch dem CDU-Jungpolitiker Thomas Volk bewusst. Trotz langer Wege durch Ortsvorstände, trotz Assistentenjobs bei Abgeordneten und Hilfskraftstellen in der Parteiverwaltung wollte die Presse einfach keine Notiz von dem jungen Studenten nehmen. Das sollte sich kurz vor Weihnachten 2008 schlagartig ändern.

Da polterte die unentdeckte Nachwuchshoffnung, dass die Christmette an Heiligabend nur noch für Kirchensteuerzahler offen sein sollte. Alle anderen sollten draußen bleiben, Zutritt nur für zahlende Gäste. Auch wenn die von Austritten geplagten Kirchen den Vorschlag am heftigsten ablehnten und Thomas Volk ansonsten nur Hohn und Spott erntete – zum ersten Mal fand der Jungpolitiker in den Medien statt – und auch zum letzten Mal. Bis heute ist Thomas Volk eine Karriere in Partei oder Parlamenten verwehrt geblieben.

Dezember 2008: Rattenplage bekämpfen

Viel zu sagen gibt es über Henner Schmidt nicht. Bis zum Abgang seiner Partei in die außerparlamentarische Opposition im Jahr 2011 war Schmidt FDP-Hinterbänkler im Berliner Landesparlament. Im Dezember 2008 sollte sich das kurz ändern:

Pünktlich zum Beginn der nachrichtenarmen Zeit schlug der Politiker vor, Erwerbslose sollten Ratten fangen und pro Tier einen Euro erhalten. So könne man effizient die Rattenplage in der Hauptstadt bekämpfen, wo laut mancher Schätzung auf einen Einwohner zehn Ratten kommen.

Henner Schmidt legte noch einen drauf und schlug vor, Hartz-IV-Bezieher könnten sich zusammenschließen und gleich tausende Ratten auf einmal zum Berliner Alexanderplatz treiben. Schmidt erntete Kritik und Empörung – aber auch einen kurzen Moment der Aufmerksamkeit. Genutzt hat es der politischen Karriere jedoch nicht. Henner Schmidt ist heute stellvertretender Vorsitzender der Berliner FDP, einer Kleinstpartei, die zuletzt ganze 1,8 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinen konnte.

Dezember 2011: Christian Wulff stürzt

Was wäre wohl passiert, wenn eine alte Falschaussage von Ex-Bundespräsident Christian Wulff vor dem Niedersächsischen Landtag nicht im Dezember sondern zum Beispiel im Mai 2011 öffentlich geworden wäre? Vielleicht gar nichts. Doch was mit dem Vorwurf falscher Angaben aus seiner Zeit als Ministerpräsident begann, entwickelte sich in den drei Wintermonaten zum Inferno für Christian Wulff. Schluss war erst als der Vorfrühling einsetzte und der Bundespräsident seinen Rücktritt erklärte.

Wie ein Verstärker wirkte das Winterloch für die Verfehlungen Wulffs. Am Ende war nicht nur das Amt weg, sondern Frau, Ruf, Kinder und Haus gleich mit. Immerhin bleibt dem Polit-Frührentner mit dem "Ehrensold" von 200.000 Euro ein stattlicher Trost.

Februar 2012: Wilde Ehe

Norbert Geis von der CSU ist wohl einer der bekanntesten Hinterbänkler des Bundestags. Regelmäßig meldet er sich in der nachrichtenarmen Zeit zu Wort, meist mit gesellschaftspolitischen Positionen, die besser in andere Jahrhunderte passen. Selbst der CSU-Basis war Geis zu konservativ, so dass er zur Bundestagswahl nicht mehr aufgestellt wurde.

Vor seinem Abgang mahnte Norbert Geis allerdings noch einmal Bundespräsident Joachim Gauck an, seine "persönlichen Verhältnisse" in Ordnung zu bringen. Gemeint war die wilde Ehe des noch verheirateten Bundespräsidenten, die fortan die Medien beschäftigte. Dass sich Gauck erst scheiden lassen müsse, ist dem Erzkatholiken Geis nicht eingefallen. Scheidungen sieht die katholische Kirche eigentlich nicht vor.

Winter 2012/2013: Der Brötchenkrieg

Kurz vor dem Jahreswechsel 2012/2013 hatte sich Alt-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse kräftig in die Nesseln gesetzt. In einem Interview beschwerte sich das Prenzlauer Berger Urgestein über zugezogene Neu-Berliner ("Schwaben"), die beim Bäcker statt der Berliner Schrippe süddeutsche Wecken bestellten. "In Berlin sagt man Schrippen – daran könnten sich selbst Schwaben gewöhnen", polterte der bärtige Politiker.

Thierses Rundumschlag gegen Zuwanderer aus dem Südwesten wurde gleichermaßen mit Applaus und Empörung bedacht. Die mediale Folge: Der SPD-Politiker bot genug Stoff, um das Winterloch zu stopfen. Zeitungsleser konnten über die Feiertage Berichte aus dem Prenzlauer Berg, Rezepte für Ostschrippen und jede Menge Beiträge zur Gentrifizierung lesen.