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Leipziger Frühjahrstreff der Buchbranche Buchmesse will zum Lesen verführen

Die Buchmesse Leipzig zieht alljährlich im Frühjahr Verleger und Zehntausende Literaturfreunde an. Vor dem Start des Branchentreffs am Mittwoch hat Grit Warnat mit Buchmesse-Direktor Oliver Zille über Stimmungen, Trends und das Festival "Leipzig liest" gesprochen.

10.03.2015, 01:13

Volksstimme: Die Buchmesse ist der erste Stimmungstest im Jahr. Wie ist die Stimmung in der Buchbranche?
Oliver Zille: Verhalten optimistisch. Der Buchmarkt ist weiter einem extrem starken Wandel vor allem durch die Digitalisierung unterworfen. Strukturen verändern sich nachhaltig durch neue technische Möglichkeiten und einhergehend sich wandelnde Kauf- und Lesegewohnheiten. Dafür hält sich der Buchmarkt gut. Er ist stabil, er wächst aber auch nicht.

Die Buchmesse ist aber weiter im Aufwärtstrend?
Wir haben im Vergleich zum vergangenen Jahr wieder mehr Aussteller - 2263 sind es in diesem Jahr. Das sind fast vier Prozent mehr als 2014. Bei der Leipziger Buchmesse ist die Zahl der Aussteller, die mit einzelnen Ständen vertreten sind, sogar um sechs Prozent gestiegen und auch bei der Fläche gab es Zuwächse.

Zuwächse verzeichnen Sie bei den kleinen Verlagen. Halten Ihnen auch die großen Verlage die Treue?
Ja, sie sind alle wieder vertreten. Bei den kleinen, konzernunabhängigen Verlagen gibt es sogar größere Zuwächse. Für sie wird die Buchmesse zunehmend wichtiger, um Publikumskontakte herzustellen. Diese Verlage sind im Buchhandel weniger präsent, brauchen aber eine Plattform. Die Buchmesse ist da offensichtlich eine sehr gute.

Ist Leipzig eine stärkere Werbeplattform als die Frankfurter Buchmesse, die als Geschäftsmesse gilt?
In Frankfurt werden vor allem Rechte verhandelt, in Leipzig geht es darum, die Bücher an die Leser zu bringen und dann auch an die Vermittler, also an den Buchhandel, die Bibliotheken, aber auch an die Lehrer und Erzieher. In Deutschland erscheinen jährlich 80000 neue Titel. Das Bedürfnis, dafür Öffentlichkeit zu schaffen, ist bei den Verlagen enorm.

Die Buchmesse raste von einem Besucherrekord zum nächsten. 175000 Gäste hatten Sie 2014 auf dem Messegelände. Das bedeutet große Enge. Was verkraftet die Buchmesse an Besuchern?
Wenn wir die Zahl des vergangenen Jahres erreichen würden, wäre das toll. Natürlich arbeiten wir an der Logistik und einer Optimierung der Publikumsströme. Wir haben 2014 die Manga-Comic-Convention eingeführt und dafür eine ganze Halle hinzugenommen, um Luft in die Messe zu bekommen. Solche Entscheidungen sind aber eine Gratwanderung. Die Messe soll übersichtlich, die Wege kurz sein. Andererseits müssen wir eine dichte Atmos-phäre erhalten, ohne dass man sich bedrängt fühlt. Eine gute Atmosphäre ist genauso wichtig wie schöne Bücher.

Warum strömen die Besucher zur Messe?
Wir haben uns klar auf die Fahnen geschrieben, Besucher jeden Alters für neue Bücher zu begeistern und damit auch zum Lesen zu verführen. In diesem Sinne versuchen wir, Messe und Lesefest in jedem Jahr wieder neu und interessant zu gestalten. Und wo sonst kann man ein solches Spek-trum an Literatur und so viele Autoren hautnah erleben, wie bei uns?

Sie haben 3000 Mitwirkende beim Festival "Leipzig liest". Wie wichtig ist das Lesefest für Ihre Bücherschau?
Für uns ist die Einbeziehung der Stadt konzeptionell lebenswichtig. Wir suchen spannende Orte, die zu den neuen Werken passen, und schaffen damit einen ganz besonderen Rahmen. In diesem Jahr haben wir 410 Leseorte in ganz Leipzig. Wem es auf der Buchmesse zu trubelig ist, der kann in der Stadt ein, zwei, drei Lesungen besuchen und somit selbst aussuchen zwischen laut und leise, groß und klein, prominent und weniger prominent, Starter und Profi. Das Lesefest bietet ja alles.

Sie hatten eingangs den starken Wandel der Branche angesprochen. E-Book, Internet, Self-Publishing. Wie geht die Messe auf diese Entwicklung ein?
Diesen Wandel, der ja sowohl die Arbeitsprozesse beim Publizieren, aber auch die Rolle des Autors und natürlich das Lesen verändert, kann man auf der Messe sowohl in der Ausstellung als auch im Programm nachvollziehen. Für Selfpublisher gibt es zum Beispiel erstmals die Möglichkeit sich mit eigenem Stand und Programm auf der Messe vorzustellen. Für Autoren organisieren wir schon zum dritten Mal die Leipziger Autorenrunde, einen Erfahrungsaustauch auf Augenhöhe gemeinsam mit Verlegern und verschiedensten Dienstleistern. Wer wissen möchte, wie sich eBooks lesen, für den haben wir ein spezielles Areal eingerichtet, in dem die führenden Anbieter am Markt ihre aktuellen Reader zum Test stellen. E-Book-Plattformen ganz unterschiedlicher Coleur präsentieren sich an eigenen Ständen. Hier verzeichnen wir seit Jahren stetigen Zuwachs. Und für Literaturblogger, die bei der Verbreitung neuer Bücher über das Netz immer mehr an Bedeutung gewinnen, haben wir ebenfalls neu eine eigene Lounge als Treffpunkt und Arbeitsplatz direkt in der Messehalle eingerichtet. Und das sind nur einige ausgewählte Beispiele.

Wie stark hat das elektronische Buch an Bedeutung zugenommen?
Die Bedeutung wächst stetig, allerdings nicht so, wie man sich das noch vor zwei, drei Jahren gedacht hat. Mancher meinte, die Zuwachsraten rauschen durch die Decke und irgendwann ist das Papier völlig in der Defensive. Das ist aber nicht passiert. Die aktuellen, vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels veröffentlichten Zahlen sprechen von einem Marktanteil in Deutschland von 4,3 Prozent. Im Moment ist am Markt offenbar eine Sättigung eingetreten. Ich bin mir sicher, das Papierbuch wird künftig sehr gut mit dem elektronischen Buch koexistieren.

Lesen Sie auf dem Tablet?
Alle täglichen Informationen ja. In der Belletristik habe ich das elektronische Buch ausprobiert, bin und bleibe da aber doch ein Papierleser. Ich sehe natürlich, dass bei unserem jungen Publikum Tablets, Lesegeräte, Smartphones eine wichtige Rolle spielen. Gleichermaßen schreitet auch die Digitalisierung des Schulunterrichts voran. Und das wird nicht ohne Auswirkungen auf das Leseverhalten bleiben. Wie sich das in den nächsten Jahren entwickelt, werden wir sehr aufmerksam beobachten.

Bleiben wir bei diesem Jahr. Was sind die Höhepunkte der Messe?
Unser Messeschwerpunkt sind die deutsch-israelischen Beziehungen anlässlich des 50-jährigen Bestehens diplomatischer Beziehungen beider Länder. Ich finde, wir haben ein sehr spannendes, literarisches, politisches, die Gesellschaft widerspiegelndes Programm. Geplant sind 70 Veranstaltungen. 40 Schriftsteller mit Starautor Amoz Oz werden zu diesem Schwerpunkt in Leipzig zu Gast sein. Ich war vor Kurzem in Israel zu Besuch und hatte sehr interessante Gespräche mit dort lebenden Autoren. Sie freuen sich sehr auf die Buchmesse.

Ist die Buchmesse in diesem Jahr besonders politisch?
Eindeutig ja. Unsere neue Veranstaltungsreihe "Im Brennpunkt" wird, wie sie heißt, aktuelle politische Brennpunkte aufgreifen. Davon gibt es jede Menge: der Nahe Osten, der Balkan, Frankreich und Paris nach den islamistischen Anschlägen, der Russland-Ukraine-Konflikt. Ein weiteres Thema, das uns bewegt, sind 25 Jahre deutsche Einheit. Wir wollen keinesfalls in Nostalgie verfallen, sondern schauen, in welchem Zustand sich die Gesellschaft im wiedervereinigten Deutschland heute befindet und was Phänomene wie Pegida und Legida für unser Land bedeuten.

Magdeburg wird als Stadt erstmals vertreten sein. Was halten Sie von solchen Städte-Ständen?
Städte, die sich für ihre Verlage, Autoren und überhaupt für die Literatur und das Lesen engagieren, sind auf der Leipziger Buchmesse hoch willkommen. Unsere Nachbarstadt Halle hat ja schon seit längerem eine Lounge auf dem Messegelände und präsentiert sich mit einem "Halle liest mit"-Programm. Ich finde es wirklich toll, dass Magdeburg jetzt diesem Beispiel folgt, wünsche dabei ein gutes Händchen und drücke sehr die Daumen. Leipzig ist ja auch eine Messe, die ganz unmittelbar in die Region wirken und dortige Strukturen der Literaturproduktion und -vermittlung befördern will. Der neue Auftritt Magdeburgs unterstützt dieses Anliegen hervorragend.