Genetik Mutter dick, Kind dick

12.05.2015, 01:27

Forscher arbeiten an einem maßgeschneiderten Ernährungsplan, der genau zu den Erbanlagen eines jeden passt. Mit Ernährungswissenschaftler Professor Andreas Pfeiffer sprach Volksstimme-Redakteur Jens Schmidt.

Volksstimme: Die Tochter schlank, der Sohnemann ein Moppel. Obwohl die ganze Familie "normal" isst. Herr Professor Pfeiffer, was ist angeboren, was angefuttert?
Prof. Andreas Pfeiffer: Wir wissen aus zahlreichen Geschwister-Studien, dass unser Stoffwechsel zu etwa 30 bis 40 Prozent durch die erblichen Anlagen bestimmt wird. Trotz allem: Dick werden wir nur, wenn wir mehr essen als wir an Energie verbrauchen. Ernährung und Bewegung gehören bei der Betrachtung immer mit dazu. 1950 hatten wir einen durchschnittlichen BMI von 21. Jetzt liegt er bei 29.

Was können Menschen tun, wenn sie erblich bedingt zum Dickwerden neigen? Noch mehr aufpassen?
Jeder hat seinen persönlichen Kampf zu führen. Die meisten Menschen essen ja nicht sehr bewusst. Da werden am Tag locker ein paar hundert Kilokalorien zu viel getankt.

Gibt es schon Speisepläne für jeden Gen-Typ? Manche Firmen bieten das schon an.
Vorsicht. Wir forschen daran, aber wir sind noch nicht so weit. Man kann die Menschen nicht in fünf Gengruppen einteilen und sagen: Essen Sie dieses, lassen Sie jenes weg - und schon nehmen Sie ab. Die Sache ist komplexer. Wir haben ein paar Genvarianten entdeckt, die zeigen, dass die Betroffenen die Finger von bestimmten Nahrungsmitteln lassen sollten. Es gibt andere Erbanlagen, die einen moderaten Einfluss haben. Wir nehmen an, dass eine Kombination aus zehn, zwölf Genen darüber entscheidet, ob jemand Nährstoffe wie Fett oder Kohlenhydrate eher reduzieren und dafür andere Nährstoffe stärker essen sollte. Ich schätze, dass wir in zehn bis 15 Jahren so weit sind, maßgeschneiderte Ernährungspläne zu entwickeln, die zu den persönlichen Erbanlagen passen.

Verändert umgekehrt unsere Ernährung auch unsere Gene?
Nicht die Basensequenz - also die Grundstruktur unserer Gene. Aber auf die Aktivität bestimmter Gene hat die Ernährung einen deutlichen Einfluss - und damit auch auf Hormonproduktion und Stoffwechsel. Bei fettreicher Ernährung zeigen das Studien schon sehr gut: Das Genom ändert sich, wenn sich die Ernährung ändert. Das gilt übrigens auch schon für das ungeborene Kind im Bauch der Mutter: Wenn Schwangere über das normale Maß dick werden, wird ihr Kind mit hoher Wahrscheinlichkeit auch dick. Werdende Mütter haben also auch in dieser Hinsicht eine erhebliche Verantwortung.

Ihr Rat?
Genügend Jod und Folsäure zu sich nehmen - schon vor der Schwangerschaft. Und dann sollten Schwangere nicht über die Maßen Gewicht zulegen, also nicht viel mehr, als das heranwachsende Kind und die Plazenta wiegt.

Manche mühen sich, essen gesund, bewegen sich viel und haben dennoch hohe Blutfettwerte oder Alters-Diabetes. Was ist ererbt, was können die Betroffenen tun?
Die Erbanlagen spielen eine erhebliche Rolle. Negativ wie auch positiv. Wir wissen mittlerweile, dass manche Menschen eine tolle Genmutation besitzen, die für ganz niedrige Cholesterinwerte sorgt: Die Betroffenen können große Mengen Fett essen und haben keinerlei Probleme. Umgekehrt erkranken manche an Arteriosklerose, egal, was sie tun. Auch der Alters-Diabetes ist zu 50 Prozent erblich. Da helfen gesunde Ernährung und Bewegung vor allem in der Prävention, die Betroffenen benötigen aber auch Medikamente, wenn die Erkrankung manifest ist. Wer Eltern oder Großeltern mit ähnlichen Problemen hatte oder wer trotz aller Mühen den dicken Bauch nicht loswird, der sollte seinen Hausarzt konsultieren, damit Blutfettwerte, Blutzucker und Blutdruck bestimmt werden.

Ernährungsberater raten dringend dazu, mehr Ballaststoffe zu essen - wie sie im Gemüse und in Vollkornprodukten stecken? Was sagt die Wissenschaft?
Ballaststoffe sind die am stärksten wirksamen Mittel, um das Risiko von Alters-Diabetes, Schlaganfall und Herzinfarkt zu reduzieren. Große Studien zeigen das ganz klar. Selbst die Tumorgefahr wird verringert. Allerdings müssen wir dabei auf eine abwechslungsreiche Mischkost achten. Dazu gehört viel Gemüse. Allein mit Brot funktioniert das nicht. Um genügend Ballaststoffe zu bekommen, müssten wir täglich 300 Gramm Vollkornbrot essen - das wären zu viele Kalorien.

Vielen schmeckt Vollkornbrot oder Naturreis nicht.
Ja, und manche bekommen davon Blähungen. Derzeit zielen die Regeln nur auf Vollkorn ab. Ich finde, die Bäcker sollten ein paar Prozent Ballaststoffe zusätzlich unter das herkömmliche Brot mischen. Das würden die wenigsten merken, doch den meisten wäre geholfen, ihr Risiko einer Zuckererkrankung zu senken.