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Kindergartenschach Zug um Zug zum großen Ziel

Gerhard Köhler brennt für Schach. Im Job setzt der Orwo-Net-Chef auf
Taktiken vom Brett, in der Freizeit bringt er das Spiel in Kitas.

Von Elisa Sowieja 20.08.2015, 20:01

Wolfen l Denke immer ein paar Züge im Voraus, besagt eine Taktik im Schach. Als Gerhard Köhler 2005 entschied, Anlagen für den Druck von Fotobüchern zu kaufen, war die digitale Fotografie lange nicht so verbreitet wie heute. Die Entwicklung von Farbfilmen machte bei Orwo Net noch fast die Hälfte des Umsatzes aus. Inzwischen sind es zehn Prozent. Das wegbrechende Feld hat der Geschäftsführer mit Fotobüchern nahezu ersetzt.

Das Schachspiel beeinflusst Köhlers Entscheidungen im Job seit Jahrzehnten. Schon in seiner Jugend war es für ihn mehr als ein lapidares Hobby: Mit sechs Jahren machte er seinen ersten Zug. Mit zehn setzte er seinen Mathelehrer matt. Mit 14 begann er, Partien aufzuzeichnen, um Positionen zu analysieren. Mit 17 zog er von Aschersleben nach Halle, weil er in den dortigen Verein wollte. Sein Einsatz zahlte sich aus: Kurz nach dem Umzug wurde Köhler erstmals Dritter bei den DDR-Jugendmeisterschaften.

Klinken putzen für eine insolvenzgeplagte Firma
Zu den Regeln, die den heute 59-Jährigen seit damals begleiten, zählt auch diese: Zu seiner Entscheidung muss man stehen. Das tat er etwa, als er sich vor 13 Jahren vornahm, die einstige DDR-Firma nach mehreren Insolvenzen unter dem Namen Orwo Net neu aufzubauen - und das, nachdem er die letzte Insolvenz als Finanzvorstand sogar miterlebt hatte.

"Bevor ich eine Finanzierung erhielt, musste ich bei mindestens zehn Banken Klinken putzen", erzählt der promovierte Volkswirt und Bankkaufmann. An einen Rückzieher habe er in dieser Zeit nicht einmal gedacht.

Vor zwei Jahren hat Köhler auch im Privaten eine ambitionierte Entscheidung getroffen: Er will das Schachspiel in jede deutsche Kita bringen. Dafür hat er mit zwei Mitstreitern aus der Spitze des Landesschachverbandes Sachsen-Anhalt ein Konzept entwickelt und den Verein "Kinderschach in Deutschland" gegründet. Dieser organisiert Schulungen für Erzieher und sponsert Material wie Spielbretter und Lernhefte mit Schachmärchen zum Nachspielen.

Köhlers Hauptaufgabe besteht darin, um Gelder zu werben. Bei 500 Euro Kosten pro Einrichtung, hat er ausgerechnet, bräuchte er für alle deutschen Kitas 25 Millionen Euro. Plus Kosten für Organisation und Fahrten der Referenten. Eine Menge Holz. Doch den Schachspieler schreckt das freilich nicht ab. "Das macht doch nichts", sagt er gelassen. "Wichtig ist, dass man eine Richtung hat."

Gut 100 Kitas sind versorgt, 100 weitere folgen jetzt
Und so hält der Wolfener Vorträge, wo immer es sich anbietet: bei Banken, Kammern, Wirtschaftsverbänden. Seine Doppelfunktion als Firmen- und Vereinschef ist da durchaus vorteilhaft.

Außerdem zieht er Mitglieder in den Verein. Hierbei helfen ihm Kontakte in die weltweite Schachszene: Köhler ist Teil der Lasker-Gesellschaft, misst sich aller paar Monate mit Schachlegende Viktor Kortschnoi und startet bei Amateur-Meisterschaften - 2014 landete er bei der WM auf Platz vier. So kommt es, dass sich unter den 15 Mitgliedern auch Schachgroßmeister tummeln.

Wenn man den Unternehmer darauf anspricht, warum er sich für Kinderschach engagiert, merkt man ihm schnell ein weiteres Prinzip aus dem Spiel an: Sei stets konzentriert. Keine Zwischenfrage, kein Exkurs bringt ihn davon ab, jeden seiner fünf Gründe vorzutragen. Alle sind auf den Punkt formuliert: Schach fördert Chancengerechtigkeit, Integration, Inklusion; Schach verbindet Generationen und wirkt der Dauerdaddelei am Computer entgegen - er nennt das digitale Demenz.

Einen ersten Schritt zum großen Ziel haben Köhler und sein Verein schon geschafft. In mehr als 100 Kindergärten aus vier Ländern sind Erzieher geschult und Materialien verteilt. Mit Hilfe einer aktuellen Förderung des Landes Sachsen-Anhalt kommen jetzt hierzulande noch einmal 100 dazu.

Zu allen deutschen Kitas fehlen dann zwar immer noch so einige. Doch Köhler hat bei seinen Mitstreitern vorsichtshalber schon nachgefragt, ob sie das Projekt theoretisch auch überall stemmen könnten. Außerdem ist aus seiner Vision im Job auch etwas geworden: Aus 30 Mitarbeitern konnte der Unternehmer 300 machen, und bei den Fotogroßlaboren in Deutschland hat es Orwo Net auf Marktposition zwei gebracht - alles Zug um Zug.