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Ukraine-Krise Der Russland-Handel bricht in Sachsen-Anhalt ein

Der Osthandel bildet einen Pfeiler der Wirtschaft in Sachsen-Anhalt.
Durch die instabile Lage in der Ukraine ist jedoch ein deutlicher
Rückgang des Warenaustausches mit ukrainischen und russischen Partnern
zu verzeichnen. Sanktionen könnten die Lage noch verschlimmern.

Von Steffen Honig 11.06.2014, 03:25

Magdeburg | Minus, minus, minus: Die Zahlen, die Andreas Müller, Außenwirtschaftschef der Magdeburger IHK zum Handelsaustausch Sachsen-Anhalts mit Russland und der Ukraine vorlegt, sind alarmierend. Die Krise im Osten Europas hat dazu geführt, dass die Exporte im ersten Quartal 2014 nach Russland um 12 Prozent und in die Ukraine um 21 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres eingebrochen sind. Zusammengenommen macht das rund 17,5 Millionen Euro Erlöse weniger.

Zu den Gründen sagt Müller: "Deutsche, russische und ukrainische Firmen sind verunsichert. Die Aufträge aus dem Osten bleiben aus Angst vor Sanktionen aus, weil unklar ist, ob die bestellte Lieferung überhaupt ankommt." Für Sachsen-Anhalts eher kleinere Firmen sei es ein großes Problem, diese Ausfälle zu kompensieren. Ein wenig Hoffnung gibt die Entwicklung in Südeuropa, wo sich die Krisenländer Portugal, Spanien und Griechenland allmählich von der Krise zu erholen beginnen. Doch gewachsene Kontakte wie nach Russland sind nicht von heute auf morgen zu ersetzen.

Russische Gaslieferung für Sachsen-Anhalts Wirtschaft

An radikale Umstellungen ist die hiesige Wirtschaft seit der Wende gewöhnt. Viele sachsen-anhaltische Firmen konzentrierten sich in den 1990er Jahren zunächst auf neue Märkte in Westeuropa oder Amerika. Frankreich, Großbritannien oder die USA verhießen neue Geschäftsfelder.

Doch etwa um die Jahrtausendwende setzte ein Umdenken ein. Die Ostländer, früher Partner im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW), gerieten wieder verstärkt in den Blickpunkt. Aufbauen konnten die Sachsen-Anhalter auf ihren jahrzehntelang gewachsenen Stärken: passenden Produkten sowie guten Kenntnissen von Märkten, Sprachen und Menschen. Nach dem Beitritt zur Europäischen Union 2004 stieg Polen so zum Spitzen-Handelspartner des Landes auf.

Auch Russland und die Ukraine als Nachfolgestaaten des früheren DDR-Hauptexportlandes Sowjetunion bekamen wieder einen größeren Stellenwert in der Kooperation. "Wichtig für Sachsen-Anhalt sind vor allem die russischen Gas- und Öllieferungen für die Chemieindustrie", erklärt Andreas Müller.

Waren im Wert von 430 Millionen Euro nach Russland

Mit Bangen wird daher der ukrainisch-russische Gasstreit auch in Mitteldeutschland verfolgt. Werden die Hähne zugedreht, wäre dies früher oder später auch hier zu spüren. Rund sechs Milliarden Euro machen Gas- und Ölimporte aus Russland für Sachsen-Anhalt aus. Das sind beinahe 40 Prozent des Gesamtvolumens. Zum Vergleich: Laut Münchner Ifo-Institut schlagen Importe aus Russland deutschlandweit lediglich mit 1,5 Prozent am Bruttoinlandsprodukt zu Buche.

Nach Russland exportiert Sachsen-Anhalt bisher jährlich Waren für rund 430 Millionen Euro. Maschinen, Elektroerzeugnisse, Medizintechnik und Nahrungsmittel sind die wichtigsten Exportgüter. Für die benachbarte Ukraine fällt der Umfang der Ausfuhren mit 133 Millionen Euro wesentlich weniger ins Gewicht.

Neben den politischen Verwerfungen im Osthandel macht den deutschen Produzenten der dramatische Kursverfall des russischen Rubels (-25 Prozent) und der ukrainischen Griwna (-49 Prozent) zu schaffen. Dadurch verteuern sich deutsche Exporte erheblich.

Transport stellt Sachsen-Anhalts Unternehmen vor Probleme

Zudem gibt es große Transportprobleme. Da die Routen durch die Ukraine praktisch zu sind, müssten Laster die Strecke nach Russland einen Umweg über das Baltikum fahren.

Wenn überhaupt noch jemand fährt. "Da geht gar nichts zur Zeit", erklärt Magdeburger Speditionsunternehmer Gerhard Bertram rundweg. Nicht nur wegen der 400 Kilometer längeren Strecke über die baltischen Staaten, bei der die anfallenden Mehrkosten die Unternehmer tragen müssen.

Die Transportfrage stelle Kunden wie FAM in Magdeburg vor enorme Probleme, erklärt Bertram. Die Russen hätten die Genehmigungspraxis in Frage gestellt, die russischen Zollbeamten hätten die Macht auch in den Fährhäfen und würden Gebühren nach Gutdünken erheben. Den Verkehr in der unruhigen Ukraine hätten Ukrainer selbst übernommen. Was bedeute, dass sie häufig leer nach Westeuropa fahren würden, um die Waren abzuholen.

IHK Magdeburg kämpft um Posten in Südrussland

Der Magdeburger Spediteur hat die Russland-Fahrten generell gestoppt. "Hände weg", sagt Bertram, der über große Osteuropa-Erfahrung verfügt. Bertram: "Ich warne jeden, der jetzt in den Russland-Verkehr einsteigen will. Man weiß nie, ob Fahrer und Auto wiederkommen."

Tapfer verteidigt die Magdeburger IHK indes ihren verbliebenen Außenposten in Südrussland. Um die Geschäfte am Laufen zu halten, bleibt das vor einigen Jahren geschaffene Ein-Mann-Verbindungsbüro in Krasnodar besetzt.

IHK-Mann Müller hält wie viele andere deutsche Wirtschaftsverteter auch nichts von einer weiteren Verschärfung der Sanktionen: "Da gibt es nur Verlierer, ob in Deutschland oder in Russland."