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Religiöse Führer schreiben an den "IS-Kalifen" Gelehrte erklären den Islam

Von Dirk Rösler 14.10.2014, 03:09

Die zivilisierte Welt ist geschockt wegen des unmenschlichen Vorgehens der IS-Terrormilizen in Syrien und im Irak. Denn im Namen des Islam metzeln sie Tausende Menschen nieder - Muslime ebenso wie Christen oder Andersgläubige. Seit Wochen antwortet eine internationale Allianz, zu der neben den USA auch Briten, Franzosen und einige arabische Staaten gehören, mit Luftangriffen.

Doch der Kampf kann letztlich nicht nur durch Bomben entschieden werden. Die irregeleiteten "Gotteskrieger" und deren Sympathisanten müssen mit schlagenden Argumenten zum Umdenken veranlasst werden. Die Auseinandersetzung muss auch in den Köpfen gewonnen werden. Nur dann kann es Frieden geben.

Und damit sind die religiösen Führer der islamischen Welt und weltweit die zahlreichen Vorbeter in den Moscheen gefordert. Sie müssen ihren Gläubigen die wahren Werte ihrer Religion vermitteln.

Erste Schritte sind getan. So hat kürzlich der "Rat der Höchsten Gelehrten in Saudi-Arabien", die wichtigste religiöse Instanz in dem arabischen Staat, eine Fatw (Rechtsgutachten/Urteil) erlassen. Darin hat er das IS-Vorgehen als "abscheuliche Verbrechen" verurteilt und unterstützt den internationalen Kampf gegen die Terrormilizen.

Und nun haben 125 islamische Gelehrte aus 40 Ländern einen offenen Brief an den selbsternannten IS-Kalifen Abu Bakr al-Bagdadi, seine Kämpfer und Sympathisanten geschrieben. Darin prangern sie sein Vorgehen mit 24 Argumenten (zitiert nach dem Koran) als Verbrechen an und erklären seine von ihm ausgewählte Position als illegitim.

Die meisten Unterzeichner der Liste stammen aus den USA, aus Ägypten, aus anderen Nahost-Ländern und aus Afrika. Deutschland, die Türkei, Frankreich, Großbritannien, Belgien und die Niederlande sind ebenfalls vertreten.

Die Kurzfassung in dem Brief von den sunnitischen Gelehrten an den sunnitischen IS-Führer lautet:

1. Es ist im Islam verboten, ohne die dafür jeweils notwendige Bildung und Kenntnis zu haben, Fatw (Rechtsurteile) zu sprechen. Sogar diese Fatws müssen der islamischen Rechtstheorie, wie sie in den klassischen Texten dargelegt wurde, folgen. Es ist ebenfalls verboten, einen Teil aus dem Koran oder eines Verses zu zitieren, ohne auf den gesamten Rest zu achten, was der Koran und die Hadithe über diese Angelegenheit lehren. Mit anderen Worten gibt es strikt subjektive und objektive Vorbedingungen für Fatws. Bei der Sprechung einer Fatw, unter Verwendung des Korans, können nicht "die Rosinen unter den Versen herausgepickt" werden, ohne Berücksichtigung des gesamten Korans und der Hadithe.

2. Es ist im Islam vollkommen verboten, Recht zu sprechen, wenn die arabische Sprache nicht gemeistert wurde.

3. Es ist im Islam verboten, Scharia-Angelegenheiten zu stark zu vereinfachen und festgelegte islamische Wissenschaften zu missachten.

4. Es ist im Islam (den Gelehrten) gestattet, Meinungsverschiedenheiten über bestimmte Angelegenheiten zu haben, außer in all jenen, welche als die Fundamente der Religion gelten, die allen Muslimen bekannt sein müssen.

5. Es ist im Islam verboten, bei der Rechtsprechung die Wirklichkeit der Gegenwart zu missachten.

6. Es ist im Islam verboten, Unschuldige zu töten.

7. Es ist im Islam verboten, Sendboten, Botschafter und Diplomaten zu töten; somit ist es auch verboten, Journalisten und Entwicklungshelfer zu töten.

8. Jihad ist im Islam ein Verteidigungskrieg. Er ist ohne die rechten Gründe, die rechten Ziele und ohne das rechte Benehmen verboten.

9. Es ist im Islam verboten, die Menschen als Nichtmuslime zu bezeichnen, außer sie haben offenkundig den Unglauben kundgetan.

10. Es ist im Islam verboten, Christen und allen "Schriftbesitzern" - in jeder erdenklichen Art - zu schaden oder zu missbrauchen.

11. Es ist eine Pflicht, die Jesiden als Schriftbesitzer zu erachten.

12. Die Wiedereinführung der Sklaverei ist im Islam verboten. Sie wurde durch universellen Konsens aufgehoben.

13. Es ist im Islam verboten, die Menschen zur Konvertierung zu zwingen.

14. Es ist im Islam verboten, Frauen ihre Rechte zu verwehren.

15. Es ist im Islam verboten, Kindern ihre Rechte zu verwehren.

16. Es ist im Islam verboten, rechtliche Bestrafungen sowie Körperstrafen (hudd) ohne dem Folgen des korrekten Prozedere, welches Gerechtigkeit und Barmherzigkeit versichert, auszuführen.

17. Es ist im Islam verboten, Menschen zu foltern.

18. Es ist im Islam verboten, Tote zu entstellen.

19. Es ist im Islam verboten, Gott - erhaben und makellos ist Er - böse Taten zuzuschreiben.

20. Es ist im Islam verboten, die Gräber und Gedenkstätten der Propheten und Gefährten zu zerstören.

21. Bewaffneter Aufstand ist im Islam in jeglicher Hinsicht verboten, außer bei offenkundigem Unglauben des Herrschers und bei Verbot des Gebets.

22. Es ist im Islam verboten, ohne den Konsens aller Muslime ein Kalifat zu behaupten.

23. Loyalität zur eigenen Nation ist im Islam gestattet.

24. Nach dem Tod des Propheten - Frieden und Segen seien auf ihm - verpflichtet der Islam niemanden, irgendwohin auszuwandern.

Von entscheidender Bedeutung ist, dass die Unterzeichner in ihren weiteren seitenlangen Erläuterungen ganz klar sagen, dass das "barbarische" IS-Vorgehen nichts mit dem Islam und seinen Werten zu tun hat. Sie argumentieren: Dies sei gegen den Islam gerichtet, es sei eine Beleidigung dieser Religion.

Eigentlich ist dieser offene Brief auch eine Erklärung, wie der Islam ist und sein sollte. Er könnte auch dahin interpretiert werden, was diese 125 Gelehrten von den Vorbetern in den Moscheen an Botschaften an ihre Gläubigen erwarten. Eine wahre Wertevermittlung, damit die Religionen des einen Gottes (Juden, Christen und Muslime) endlich ihren gemeinsamen Frieden finden.

Der offene Brief ist im Internet als deutsche Übersetzung nachlesbar unter http://madrasah.de/leseecke/islam-allgemein/offener-brief-al-baghdadi-und-isi