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Ankara verprellt Nato-Verbündete Die türkische Angst vorm Kurdenstaat

Die Türkei will den Kurden in Syrien und dem Irak nicht militärisch zur Seite stehen. Dadurch steht auch der Friedensprozess zwischen Ankara und der türkischen PKK auf der Kippe.

Von Steffen Honig 21.10.2014, 03:16

Ankara/ Kobane | Die Türkei hat ein winziges Fenster für den kurdischen Widerstand gegen die IS-Terrormilizen geöffnet: Sie will Peschmerga aus dem Nordirak den Weg in die umkämpfte syrische Stadt Kobane öffnen. Mehr nicht, jede direkte miltärische Hilfe oder ein eigenes Eingreifen lehnt Ankara weiter strikt ab.

Präsident Recep Tayyip Erdogan nannte erst am Wochenende die syrisch-kurdische Partei PYD eine ebensolche Terrororganisation wie die heimische kurdische Arbeiterpartei PKK, die an der Seite der kurdischen "Volksschutzeinheiten" in Nordsyrien kämpft.

Auch die USA und Deutschland haben die PKK als Terrortruppe eingestuft und verboten. Doch ist in der Bundesrepublik angesichts der IS-Gefahr ein taktischer Sinneswandel zu beobachten. Weil die Islamisten kaum zu stoppen sind, hat selbst Unionsfraktionschef Volker Kauder bereits Waffenlieferungen an die PKK ins Spiel gebracht.

Während also Nato-Länder über Hilfen nachdenken oder wie die USA zu konkreter Luftunterstützung für die kurdischen Kämpfer in Syrien und dem Irak übergegangen sind, hält sich der Bündnispartner Türkei raus.

Ausgerechnet der Staat der Allianz, der direkt an der Hauptkampflinie liegt. Das führt zu dem schizophren anmutenden Bild, dass türkische Panzer in Schussweite zu Kobane an der Grenze aufgereiht stehen, ohne auch nur eine Granate abzufeuern. Wenig verwunderlich, dass dies weltweit für Empörung und im Nordatlantikpakt für ein schweres Zerwürfnis sorgt. Die Partner erhöhen den Druck auf die Türkei.

Die Führung in Ankara ficht das nur bedingt an: Dahinter steckt eine beinahe pathologische Angst vor den Kurden. Immerhin ist der jahrzehntelange Bürgerkrieg gegen die PKK als Speerspitze der Kurden in der Türkei in frischer Erinnerung.Dieser entstand jedoch nicht im luftleeren Raum. Vielmehr resultierte der gewaltsam ausgefochtene Freiheitskampf der Kurden aus deren Unterdrückung durch den türkischen Staat. Die Kurden wurden abfällig "Bergtürken" genannt und waren in ihren nationalen Rechten stark eingeschränkt.

Erst vor zwölf Jahren wurde den Kurden das Recht auf eigene Sendungen in Rundfunk und Fernsehen eingeräumt, in den Schulen durfte Kurdisch-Unterricht erteilt werden. Auch ein Amnestie-Gesetz für PKK-Aktivisten gab es. Die Verständigung blieb nicht von Dauer. Der Konflikt schaukelte sich auf beiden Seiten erneut hoch.Immer wieder kam es zu Attacken der PKK und zu Einsätzen der türkischen Armee im Kurdengebiet.

Nach dem US-Einmarsch in den Irak 2003 wurde die Türkei mit der Kurden-Frage außerhalb der eigenen Grenzen konfrontiert. Im Nordirak stritten die Kurden, in deren Gebiet auch PKK-Rebellen Unterschlupf fanden, erfolgreich für Autonomie. Die Türkei fürchtete, dass darin der Keim für ein länderübergreifendes Groß-Kurdistans liegen könnte.

So ausgeschlossen wie noch vor einigen Monaten erscheint dieses Szennario nicht mehr: Die IS-Terroristen marschieren weiter und breiten ihr Herrschaftgebiet über Ländergrenzen aus.

Das schweißt die Kurden im Irak, in Syrien und der Türkei zusammen. Proteste der Kurden hat die türkische Polizei bislang brutal niedergeschlagen und auch wieder PKK-Stellungen bombardiert.

Der Friedensprozess soll trotzdem weitergeführt werden, hat der neue türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu jüngst betont. Wie das gehen soll, bleibt sein Geheimnis. Die Türkei nimmt wohl eher ein Kalifat in der Nachbarschaft in Kauf, als den Kurden mehr Eigenständigkeit zu gewähren. Damit, dass die Regierung engstirnig nur ihre eigenen Interessen verfolgt, disqualifiziert sich die Türkei als verlässlichen Bündnispartner.