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Polnischer Oppositionschef baut vor Parlamentswahl neues Feindbild auf Kaczynski verdächtigt Schlesier als angebliche Spalter Polens

11.04.2011, 04:37

Misstrauen gegen Deutsche und Russen spielt in der Politik des polnischen Oppositionsführers Jaroslaw Kaczynski eine wichtige Rolle. Vor der Parlamentswahl im Herbst hat er einen neuen Sündenbock: Schlesier, die sich angeblich von Polen abspalten wollen.

Von Jacek Lepiarz

Der national-konservative polnische Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski hat einen neuen Sündenbock. Nach den Deutschen und Russen, die bisher als Buhmänner herhalten mussten, hat er nun, gut ein halbes Jahr vor der Parlamentswahl, die polnischen Schlesier ins Visier genommen. Schlesiertum sei "eine Art, sich vom Polentum zu distanzieren" und wahrscheinlich eine "verkappte Option für Deutschland", schrieb Kaczynski ins Programm seiner Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS).

"Selbstverwaltung Ja, Separatismus Nein", bekräftigte Kaczynski jüngst seinen Standpunkt. Niemand dürfe die Einheit der polnischen Nation und des Staates infrage stellen, warnte er. Seine Partei meine damit nur jene Schlesier, die die polnische Identität ablehnten, erläuterte PiS-Sprecher Adam Hofman. "Menschen, wie (Jerzy) Gorzelik, der einen schlesischen Staat gründen will", so Hofman.

Die von Gorzelik geleitete Bewegung für Autonomie Schlesiens (RAS) kämpft seit Jahren um mehr Selbstständigkeit für die Woiwodschaft (Verwaltungsbezirk) Schlesien mit der Hauptstadt Kattowitz (Katowice) im Süden des Landes. Eine Reaktion auf Kaczynskis Vorstoß ließ nicht lange auf sich warten. Zehn Parlamentarier der Regierungspartei Bürgerplattform (PO) erstatteten wegen "Verunglimpfung" eine Strafanzeige gegen den Oppositionschef. Wir wollten nicht als "fünfte Kolonne" abgestempelt sein, erklärte der aus Schlesien stammende PO-Fraktionschef Tomasz Tomczykiewicz.

Kaczynskis Standpunkt sei Beweis für seine "erschreckende Ignoranz", sagte der Soziologe Jerzy Szacki. "Abscheulich", kommentierte Starregisseur Kazimierz Kutz, auch ein Schlesier. In einer Umfrage für den Sender TVN24 äußerten sich 87 Prozent der Befragten kritisch über Kaczynskis Meinung.

Gorzelik sieht in der Einstellung der National-Konservativen eine Politik nach dem Motto "Polen nur für Polen". Das Streben nach mehr Selbstständigkeit habe nichts mit einer Änderung der Grenzen zu tun, versicherte er.

Bei einer Volkszählung vor neun Jahren hatten sich mehr als 173000 Menschen zur schlesischen Nationalität bekannt. Bei der Neuauflage der Volkszählung, die am Freitag begonnen hat, rechnet Gorzelik mit einer Verdoppelung des Ergebnisses.

Die Woiwodschaft Schlesien (Slaskie) entspricht in Teilen dem früheren Oberschlesien. In der Vergangenheit hatten sich dort polnische, deutsche und tschechische Einflüsse gekreuzt. Nach dem Ersten Weltkrieg kam es dort zu heftigen deutsch-polnischen Kämpfen, die mit einer Teilung des umstrittenen Gebietes endeten.

Nach 1945 kam die ganze Region, ein Zentrum der Schwerindustrie, an Polen. Trotz starker Einwanderung aus anderen Landesteilen haben die Einwohner ihre Identität und ihre Regionalsprache bewahrt. Das Oberste Gericht lehnte allerdings vor sechs Jahren eine Anerkennung der schlesischen Nationalität ab. Die polnischen Bürger, die diese Nationalität reklamieren, sind nicht mit der deutschen Minderheit in der benachbarten Woiwodschaft Oppeln (Opolsikie) identisch.

Die National-Konservativen setzen auf einen zentralistischen Staat polnischer Nation, schrieb die Zeitung "Gazeta Wyborcza". Die EU mit ihrer Parole "Einheit in Vielfältigkeit" sei der PiS schon immer suspekt gewesen. Denn nicht nur Schlesier, auch Kaschuben, die Minderheit im Norden Polens, der Regierungschef Donald Tusk entstammt, sollen im Auge behalten werden.

Schon einmal war Kaczynskis Plan, seine Gegner als Landesverräter bloßzustellen, aufgegangen. Der falsche Vorwurf, sein Großvater habe sich freiwillig zur Wehrmacht gemeldet, kostete Tusk 2005 wahrscheinlich das Präsidentenamt. "Wird es im Herbst eine Wiederholung geben?", fragen nun polnische Publizisten.(dpa)