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Ungarn übernimmt die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union Im Fokus der EU: Orbán muss gemäßigte Töne anschlagen

03.01.2011, 04:27

Von Tina Heinz

Von Ost nach West und von Nord nach Süd reiste der ungarische Regierungschef Viktor Orbán im vergangenen halben Jahr, besuchte unter anderem Österreich, Russland und auch Deutschland. Das Ziel dieser Ochsentour: Ungarn und seine Vorstellungen präsentieren und bei den Partnern auf Tuchfühlung gehen.

Denn Ungarn hat mit Beginn des neuen Jahres den Staffelstab für die EU-Ratspräsidentschaft von Belgien übernommen. Um eine gewisse Kontinuität zu ermöglichen, arbeiten stets drei Staaten an einem 18-Monate-Programm. Ungarn und Belgien haben so gemeinsam mit Spanien ein Trio gebildet.

"Aufgrund dieser Zusammenarbeit müssen wir darauf achten, was Belgien während seines Vorsitzes erreicht hat", erklärt Zsuzsa Vincze. Sie bekleidet das Amt eines Botschaftssekretärs und ist in der ungarischen Botschaft in Berlin für Europa-Politik zuständig. "Wir möchten dem Ganzen zwar einen ungarischen Charakter verleihen, aber neue, große Projekte einbringen können wir nicht. Es geht schließlich um Europa und nicht nur um Ungarn", so Zsuzsa Vincze weiter.

Eigene Schwerpunkte wie die Romastrategie, Ausweitung der Kooperation der Donau-Länder oder Nationalitätenrechte werden daher neben Themen wie Stabilisierung des Euro und die gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik nur eine untergeordnete Rolle spielen. "Während der ungarischen Ratspräsidentschaft ist die wichtigste Aufgabe natürlich weiterhin die Fortsetzung der Wirtschaftskonsolidierung", sagt Zsuzsa Vincze. Dabei spiele die Europa-2020-Strategie und ein verstärktes wirtschaftspolitisches Zusammenwirken eine bedeutende Rolle.

Die 2020-Strategie ist ein auf zehn Jahre angelegtes Wirtschaftsprogramm. Wie Vincze erklärt, steht dabei die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Gewährleistung einer nachhaltigen Wettbewerbsfähigkeit im Mittelpunkt. Dabei wolle sich Ungarn auch stärker dafür einsetzen, die Situation kleiner und mittlerer Unternehmen zu verbessern.

Neben Finanz- und Wirtschaftspolitik hat sich die ungarische Regierung auch das Thema Energiepolitik auf die Fahnen geschrieben. "Hier soll es vor allem um die Versorgungssicherheit und um die Erweiterung der Energieversorgungswege und Ressourcen gehen", so Zsuzsa Vincze. Auch die Verknüpfung der Energienetzwerke – vor allem bei einer "stärkeren Zusammenarbeit der östlichen Staaten" – sei erstrebenswert.

An dieser Stelle kommt auch die sogenannte Donau-Strategie ins Spiel. "Es ist eines der wichtigsten Ziele der ungarischen Ratspräsidentschaft, diese Strategie zu verabschieden", erklärt Zsuzsa Vincze.

Die Donau-Strategie baut auf eine engere Zusammenarbeit der Staaten entlang des Flusses in den Bereichen Umwelt, Infrastruktur, kulturelle Vielfalt, Schaffung von Wohlstand und Regierungsführung. Ein Problem, das Botschaftssekretär Vincze bei der Donau-Strategie sieht, ist die Zusammenarbeit der 14 beteiligten Staaten. "Wenn es beispielsweise um Themen wie öffentliche Sicherheit geht, gestaltet sich die Kooperation schwierig. Denn einige der Entscheidungsträger sind Mitgliedstaaten der EU. Und die anderen eben nicht. Da ist es nicht leicht, auf einen Nenner zu kommen." Dennoch ist Zsuzsa Vincze zuversichtlich, dass der Europarat bis zum Sommer die Donau-Strategie verabschieden kann.

Auch dem EU-Beitritt Kroatiens blickt Botschaftssekretär Vincze optimistisch entgegen: "Die ungarische Regierung ist bestrebt, die Verhandlungen dazu erfolgreich zu beenden." Neben Kroatien spielen jedoch bei Ungarns Nachbarschaftspolitik auch andere Länder des Westbalkans eine große Rolle. Dazu soll im Mai ein zweites Gipfeltreffen der Östlichen Partnerschaft stattfinden.

Ein wichtiger Schwerpunkt der Nachbarschaftspolitik ist die Integration der Roma. Von diesem Thema sind vor allem die Herkunftsländer der Minderheit betroffen. Dazu zählen neben Ungarn auch Bulgarien, Rumänien und Tschechien.

Nach Aussagen des ungarischen Staatssekretärs im Ministerium für Verwaltung und Justiz, Zoltán Balog, wäre es sinnvoll, den Europäischen Sozialfonds (ESF) wirkungsvoller einzusetzen. Mit dem ESF soll die gesellschaftliche Integration benachteiligter Bevölkerungsgruppen gefördert werden. Allerdings, so Balog, würden die EU-Mittel nicht nach ethnischen Kriterien, sondern nach Armutskriterien vergeben. Balog fordert deshalb spezielle Programme für Roma, um deren Situation zu verbessern.

Auch Botschaftssekretär Zsuzsa Vincze plädiert für eine Rahmenstrategie zur Integration der Roma. "Diese soll jedoch nur die nationalen Strategien ergänzen." Denn in diesem Punkt gebe es seitens der EU Bedenken. "Es wird häufig die Meinung vertreten, dass die Romastrategien der einzelnen Länder ausreichen", so Vincze. "Dabei gibt es jedoch einen Haken: Die Roma sind sehr mobil und können daher nicht ausschließlich als lokales Problem betrachtet werden."

Ob Ungarn im kommenden halben Jahr seine Ziele – oder zumindest einen Teil davon – umsetzen kann, wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Eins ist jedoch jetzt schon sicher: Regierungschef Viktor Orbán wird gemäßigte Töne anschlagen müssen, denn er und sein Land stehen nun im Fokus der EU. Und nach der Verabschiedung des umstrittenen Mediengesetzes kurz vor Weihnachten werden die Beobachter Ungarns Politik mit Argusaugen verfolgen.