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Insgesamt 15 Araber haben sich seit dem Sturz des tunesischen Präsidenten Ben Ali mit Benzin übergossen und angezündet Selbstverbrennung als Waffe der Machtlosen und Benachteiligten

Von Anne-Beatrice Clasmann 21.01.2011, 04:23

Der arbeitslose Tunesier Mohammed Bouazizi ist durch seine Selbstverbrennung zur Symbolfigur für den Aufstand der Benachteiligten gegen eine korrupte politische Klasse geworden. Sein Tod wurde von vielen arabischen Medien als heroische Tat eines Märtyrers gefeiert. Sogar einige islamische Geistliche, die den Selbstmord eigentlich aus religiösen Gründen ablehnen müssten, lobten die Verzweiflungstat des jungen Mannes.

Binnen weniger Tage setzte ein regelrechter Heldenkult rund um den Tod von Bouazizi ein. Ein Geschäftsmann aus Kuwait bot sogar einen hohen Betrag für den Gemüsekarren, mit dem Bouazizi bis kurz vor seinem Tod das Geld für die Familie verdient hatte. Diese Reaktionen dürften dazu beigetragen haben, dass der schmerzvolle Tod des Tunesiers im Jemen, in Algerien, Ägypten und Mauretanien zahlreiche Nachahmer gefunden hat. Denn auch dort gibt es Armut, Behördenwillkür und Korruption.

Vor dem ägyptischen Parlament versuchten in den vergangenen Tagen insgesamt drei Männer, sich anzuzünden. Rund um das historische Gebäude patrouillieren inzwischen Polizisten in Zivil, die verhindern sollen, dass sich noch mehr Menschen dort mit Benzin übergießen, um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf ihre Probleme zu lenken.

Betrachtet man die einzelnen Fälle, so sticht eines ins Auge: Die potenziellen Selbstmörder fühlten sich alle machtlos. Sie hatten alle zuvor erfolglos versucht, sich gegen Behördenwillkür und den Druck der Gesellschaft zu wehren, einer konservativen Gesellschaft, in der ein Mann nur dann etwas wert ist, wenn er es sich leisten kann, eine Familie zu gründen und für sie zu sorgen. Bouazizi schaffte es nicht, diesen bürgerlichen Traum zu verwirklichen.

Nach Angaben seiner Schwestern fühlte er sich von Behördenvertretern gepiesackt. Diese sollen versucht haben, ihm dafür Geld abzuknöpfen, dass er mit seinem Obstkarren durch die Stadt ziehen darf. Ähnlich ging es einem 37 Jahre alten Straßenhändler in Algerien, der sich am Mittwoch nach einem Streit mit einem Polizisten, der ihn nach seiner Verkaufslizenz gefragt hatte, mit Kerosin übergossen hatte. Doch der Schockeffekt der Selbstverbrennungen nutzt sich ab. Während der Tod von Bouazizi noch große Betroffenheit ausgelöst hatte, verschwanden die Nachrichten über neue Selbstmordversuche in den vergangenen Tagen von den Titelseiten der Zeitungen. Inzwischen gibt es auch Kritik an dieser Welle der versuchten Selbsttötungen.

Die in Ägypten verbotene islamistische Arbeitspartei rief die Ägypter gestern auf: "Verbrennt euch nicht selbst, verbrennt lieber eure Feinde." Die arabische Zeitung "Al-Hayat" schrieb, diejenigen, die sich selbst anzündeten, seien nicht fromm genug.

UN-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay zeigte mehr Mitgefühl. Sie erklärte: "Die Regierungen der Welt müssen auf den Ruf ihrer Völker hören und nicht warten, bis die Bürger ihr eigenes Leben opfern, um die Aufmerksamkeit auf ihre Anliegen zu lenken." (dpa)