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Volksstimme-Interview mit Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin zum Euro-Rettungspaket: "Sicherung gilt nicht mehr"

12.05.2010, 05:17

Das von den Euroländern beschlossene Rettungspaket für die Gemeinschaftswährung wird weiterhin heiß debattiert. Insbesondere wächst die Furcht vor höherer Inflation. Bei einem Besuch von Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin am Montag in Magdeburg nutzte Volksstimme-Redakteur Jens Schmidt die Möglichkeit, mit dem Banker über Nutzen und Risiken der Euro-Hilfe zu sprechen.

Volksstimme: Herr Sarrazin, was bedeutet das EU-Hilfspaket für die Finanzpolitik?

Thilo Sarrazin: Das ist eine Zäsur. Seit Sonntag leben wir in einer völlig neuen finanzpolitischen Welt. Denn erstmals gilt: Alle Länder haften für die Schulden aller Länder. Bislang hielten die Politiker am Grundsatz fest, dass kein Staat die Schulden des anderen mitbezahlen muss.

Dieser Grundsatz war einer der drei Sicherungen für den Euro. Diese Sicherung gilt nun nicht mehr – wie auch schon die ersten beiden Sicherungen angetastet wurden. Bei der ersten Sicherung – der Begrenzung des Haushaltsdefizits zum Start der neuen Währung 1999 – hatten Belgien und Italien die eigentlich zulässige Schuldenstandsquote überschritten. Die zweite Sicherung, die Begrenzung der Neuverschuldung auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts, hält derzeit fast kein Land mehr ein. Diese Vorgabe wurde als erstes von Deutschland ausgehöhlt.

Volksstimme: Steht der Euro auf der Kippe?

Sarrazin: Eine unmittelbare Gefahr sehe ich nicht. Die Euro-Staaten sind zwar alle hoch verschuldet, aber auch nicht höher als Großbritannien, die USA oder Japan. Die zentrale Frage ist, ob die Welt das Problem der Staatsverschuldung in den Griff kriegt.

Volksstimme: Welche Konsequenzen hat das Hilfspaket für Deutschland?

Sarrazin: Deutschland und die Niederlande werden am Ende jene Länder sein, die für den Rest haften. Sie sind die einzigen Euro-Länder mit Überschüssen in der Leistungsbilanz. Wenn sich in der Konsequenz aus der Krise alle Staaten strengeren Schuldenregeln unterwerfen, hätte dies aber auch etwas Positives.

Volksstimme: Wäre es besser gewesen, Griechenland aus dem Euro-Klub hinauszuwerfen?

Sarrazin: Ich persönlich hätte eine Umschuldung für besser gehalten. Man hätte in so einem Fall einen bestimmten Anteil der Staatsschulden abgeschrieben. Daraus hätten alle gelernt: nicht nur die Staaten, sondern auch die Finanzmärkte.

Volksstimme: Wird das Rettungspaket Griechenland noch retten?

Sarrazin: Ich will das Paket nicht im Einzelnen bewerten. Nur soviel: Es ist sehr ehrgeizig und mit vielen Risiken behaftet.

Volksstimme: Wie sieht es um den Bundeshaushalt aus?

Sarrazin: Zur Reduktion des strukturellen Defizits müssen jährlich etwa 10 Milliarden Euro gespart werden. Gekürzt werden soll nach den Eckwerten der Finanzplanung bei den sogenannten sonstigen Ausgaben. Das heißt: Nicht im Sozialen, nicht im Verkehr, das betrifft nicht die Zinsen und nicht die Bundeswehr. Durch die veränderten Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat wird die Umsetzung des notwendigen Sparpakets bestimmt nicht einfacher.