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Zu Margot Käßmanns neuem Buch "Fantasie für den Frieden" Für Klarheit statt Nebelkerzen im Afghanistan-Krieg

27.04.2010, 05:16

Z: Magdeburg ZS: MD PZ: Magdeburg PZS: MD Prio: höchste Priorität IssueDate: 26.04.2010 22:00:00
Von Ludwig Schumann

Es ist ein kleines,schmales Bändchen. Mit Margot Käßmann erhält die "edition chrismon" auf dem Titel sogar ein Gesicht. Wäre Käßmann heute noch als Bischöfin Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, hätten diese wenigen Seiten der Bundesrepublik die wichtigste Diskussion seit zwanzig Jahren bescheren können. Die Rede ist von Margot Käßmanns neuem Buch "Fantasie für den Frieden oder: Selig sind, die Frieden stiften".

Dankenswerterweise enthält es auch die Predigt vom Neujahrstag 2010 in Dresden, in der man nun im Zusammenhang die 15 Zeilen nachlesen kann, die diesen Sturm der Entrüstung in Politik und Bundeswehr hervorriefen. Liest man diese eigentlich moderaten Zeilen nach, wird man entweder die harsche Kritik darauf nicht mehr verstehen oder man nimmt zur Kenntnis, mit welcher seismischen Begabung Käßmann ausgestattet ist, ein Thema in die Öffentlichkeit zu stellen, das dieser, bis dahin jedoch lediglich als Schwelbrand, auf den Nägeln brennt. Sie stand einer Kirche vor, die sich – im Osten seit der Wende – freilich lieber politisch in Leisetreterei übt und von deren Kanzeln die Langeweile frommer Formeln tropft. Die Ausnahmen, die es gibt, mögen die Plakativität des Vorwurfs nachsehen. Käßmann hat eine Stimme, die mit Verve und mit Charme, manchmal mit einer auf den Nerv bohrenden scheinbaren Naivität den Leser zum Nachdenken, zum Reden und, ja, auch zum Handeln zwingt. Wahrscheinlich ist es diese gefühlte Konsequenz, die Politiker vielerlei Couleur derart in Harnisch brachte.

Wer lesen will, der wird sehr schnell zur Kenntnis nehmen müssen, dass die ihr vorgeworfene Naivität aus einem Grund kommt: 1948, darauf verweist sie, haben die Kirchen der Welt in Amsterdam formuliert: "Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein." Es ist ihr Verdienst, dass sie diesen wieder ins gesellschaftliche Gespräch zurückholt. Das macht es ja so gefährlich: Mit dem Totschlagargument, dass gegen den Einsatz deutscher Truppen im Afghanistan-Krieg nur weltfremde Pazifisten sein können, kann man Käßmann eben gerade nicht begegnen. Sie weist mit dem Finger auf die all zu offenen Wunden. Während die Kanzlerin sich angesichts der wachsenden Zahl der Toten hinter Formulierungen versteckt, die der verschwurbelten Idee Peter Strucks, dass man Deutschland am Hindukusch verteidigen müsse, immer näher kommen, analysiert Käßmann: Was machen wir da in Afghanistan?

Sie zitiert die Autorin des Buches "Ich erhebe meine Stimme", Malalai Joya, zum Thema der Lage der Frauen und verweist mit ihr auf den Umstand, dass die Frauen in Afghanistan, mindestens seit die ISAF-Truppen gemeinsame Sache mit den Warlords der Nordallianz und den Drogenbaronen machen, immer noch oder schon wieder, in der Hölle von Gewalt, Missachtung leben. Und sie fragt: "Warum gibt es eigentlich in den Konflikten dieser Welt keinen so massiven Einsatz von Geld, Energie, Menschen und Fantasie, bevor die Gewalt ausbricht?" Das ist keine neue Fragestellung. Aber es ist die zwingend zu diskutierende Frage angesichts des Sterbens im afghanischen Krieg.

Der Krieg muss endlich in die Öffentlichkeit. Diese muss das Gespräch führen, muss die Politik, die ihre Ratlosigkeit hinter akustischen Nebelkerzen zu verbergen sucht, in dieses Gespräch zwingen. Und, dafür sei Käßmann gedankt, sie gibt eine Reihe Denkanstöße. Es geht um nichts weniger als die alte Frage, ob Krieg immer noch als ein politisches Mittel reüssieren darf, ob eine Gesellschaft überhaupt fähig ist, Kraft und Geld in ein völlig neues Denken zu investieren. Wessen Fügung es immer war, der ihr am 20. Februar 2010 die Autoschlüssel in die Hand gab, hat der deutschen Gesellschaft einen Bärendienst erwiesen.

Leider haben wir derzeit keinen Ersatz für diese öffentliche Unbequeme. Anders als, auch die kritischen, Herren der Schöpfung schwadronierte sie nicht, sondern legte den Finger dorthin, wo es weh tut.