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Exklusiv-Bericht für die Volksstimme über die dramatische Lage in Athen Premier fordert "Einheitsfront", aber selbst die griechische Luftwaffe streikt

30.04.2010, 05:16

Ein gigantischer Kredit in Höhe von 120 bis 135 Milliarden Euro, der in den kommenden drei Jahren ausgezahlt werden soll, bringt neue Hoffnungen für das von der Finanzkrise schwer getroffene Griechenland. Geknüpft wird die Auszahlung dieses Geldes an einschneidende Sparmaßnahmen. Nun ist vor allem entscheidend, wie Arbeitnehmer und Gewerkschaften auf das von der griechischen Regierung geschnürte Sparpaket reagieren werden.

Von Jan Hübel

In den Kafenions, den einfachen griechischen Cafés, wo an "Stammtischen" traditionell die Tagespolitik durchgehechelt wird, dominiert seit Wochen ein einziges Thema: die extrem schwierige Finanzlage des Landes. Natürlich spiegelt sich die Krise auch in der Presse wider, die täglich an tausenden Kiosken im ganzen Land aushängen (sofern diese nicht – wie am Dienstag vergangener Woche – bestreikt werden).

Noch am Mittwoch waren Titel wie "Gefährliche Unsicherheit"; "Kampf mit der Zeit um die Rettung" zu lesen. Gestern war der Ton etwas optimistischer. Die konservative Morgenzeitung "Kathimerini" drückte es mit den Worten aus: "120 Milliarden für drei harte Jahre" und die angesehene Wirtschaftszeitung "Naftemporiki" sah eine "Positive Wende Berlins für Unterstützung mit 120 Milliarden".

Bereits seit zwei Wochen verhandelt die "Troika" von Internationalem Währungsfonds, Europäischer Zentralbank und Europäischer Kommission in der griechischen Hauptstadt über notwendige Maßnahmen, um das Haushaltsdefizit in diesem Jahr um vier und bis 2014 um weitere zehn Prozentpunkte zu reduzieren (zurzeit liegt es bei 13,6 Prozent). Die Bestandsaufnahme der internationalen Experten wird aller Voraussicht nach heute beendet sein.

Noch an diesem Wochenende soll eine entsprechende Übereinkunft mit Griechenland erzielt werden. Zur Debatte stehen dürften bisher durchgesickerten Informationen zufolge u.a. eine weitere Reduzierung der Gehälter und Zulagen im öffentlichen Dienst um 10 Prozent, eine abermalige Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 23 Prozent (diese lag ursprünglich bei 19 Prozent, seit 15. März liegt der Spitzensatz bei 21 Prozent).

Lohnstopp und Entlassungen drohen

Dazu sollen eine Beschneidung des Weihnachts- und Ostergeldes, Veränderungen bei den Arbeitsbeziehungen, dreijähriger Lohnstopp, Lockerung des Gesetzes im Fall von Entlassungen, Nichterneuerung von Zeitverträgen im öffentlichen Sektor, Beschneidung von Arbeitsplätzen in Einrichtungen der öffentlichen Hand, die zusammengelegt oder ganz abgeschafft werden sollen, kommen.

Als erste Sparmaßnahmen war bereits kurz vor Ostern eine Kürzung des 13. und 14. Monatsgehalts bei den Beamten realisiert worden, auch die Zahlung von Zuschlägen, etwa für Überstunden oder Fahrkosten, wurden im öffentlichen Dienst bereits kräftig beschnitten. Einige Staatsangestellte beklagen sich, dass sie nun "die Hälfte ihres Einkommens" einbüßen würden.

Hinter vorgehaltener Hand munkelt man – zumindest in den Kafenions – auch schon über anstehende "Entlassungen im öffentlichen Dienst". Um ihren Job zittern müssen vor allem viele, die in rund 10000 Institutionen, Stiftungen oder sonstigen Einrichtungen der öffentlichen Hand angestellt sind. Viele von ihnen wurden in den letzten Jahren ins Leben gerufen, gelten aber im Volksmund als reine "Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen", da ihnen oft keine konkreten Tätigkeiten zugeordnet werden können. Rund die Hälfte von ihnen sollen – obwohl sie Mitarbeiter beschäftigen – überhaupt nicht aktiv sein.

Ins Auge gefasst wurden außerdem einschneidende Reformen im System der Sozial-, Kranken- und Rentenversicherung, aber auch für den Arbeitsmarkt. In den letzten Tagen mehren sich vor allem die Anzeichen dafür, dass auch das 13. und 14. Gehalt in der Privatwirtschaft beschnitten oder sogar ganz gestrichen werden könnte. Allerdings wurde das von Beschäftigungsminister Andreas Loverdos am Mittwoch mit den Worten dementiert, dass dies "weder die Regierung noch die Sozialpartner" dulden würden.

Nun ist vor allem die Reaktion der Gewerkschaften ganz entscheidend, ob und inwiefern Sparmaßnahmen realisiert werden können. Die beiden größten griechischen Gewerkschaften GSEE (Privatsektor) und ADEDY (öffentlicher Dienst) haben für Mittwoch kommender Woche einen 24-stündigen Streik angekündigt. Ihrer Ansicht nach dürfe nicht die arbeitende Bevölkerung für die Krise bestraft werden. Dies sei vielmehr "Sache der Besitzenden".

Gewerkschaften planen "starkes Warnsignal"

GSEE-Präsident Jannis Panagopoulos befürchtet überdies einen "Angriff auf die allgemeinen fundamentalen sozialen Rechte" der Arbeitnehmer. Mit dem Streik werde man ein "starkes Warnsignal senden", um "neoliberale Experimente mit der griechischen Gesellschaft" sowie mit den Arbeitnehmern im privaten Sektor zu verhindern.

Bereits seit Wochen machen verschiedene Berufsgruppen und Gewerkschaften immer wieder gegen die Sparpläne mobil. Am Mittwoch blockierten bisher noch nicht eingestellte Anwärter auf eine Anstellung als Zoll- und Finanzbeamte den Eingang des Wirtschaftsministeriums. Die Regierung hatte den 877 betroffenen Personen einen Job im öffentlichen Dienst bis Anfang 2013 versprochen.

Der Verband der Grundschullehrer führt seit Mittwoch und bis einschließlich Montag vierstündige Arbeitsniederlegungen durch, von denen auch die öffentlichen Kindergärten betroffen sind.

Für Dienstag und Mittwoch kommender Woche haben die Lehrer einen 48-stündigen Streik angekündigt. Die Pädagogen protestieren u.a. gegen eine vom Bildungsministerium vorgestellte Reform, die neue Kriterien für die Einstellung von Lehrern, wie etwa eine zweijährige Probezeit, vorsieht. Am 10. Mai will der Lehrerverband eine Entscheidung über eine Ausweitung der Proteste treffen.

Für besonderen Verdruss bei rund 970 mehrheitlich aus Spanien stammenden Touristen sorgte am Montag im Hafen von Piräus ein Seemannsstreik. Sie hinderten bis Dienstagmorgen die Gäste des unter maltesischer Flagge fahrenden Kreuzfahrtschiffes "Zenith" daran, wieder an Bord zu gehen. Diese mussten deshalb auf Kosten der Reederei in Hotels untergebracht werden.

Anfang dieser Woche führten sogar die Piloten der griechischen Luftwaffe eine Art Bummelstreik gegen eine Besteuerung von Flugzulagen durch. Absolviert wurden zwar Flüge, die die nationale Sicherheit betreffen, doch rund 400 geplante Übungsflüge wurden von den Piloten mit dem Hinweis verweigert, dass sie "psychisch" dazu nicht in der Lage seien.

Premier Giorgos Papandreou appellierte am Mittwoch an die Parlamentsfraktion seiner Panhellenischen Sozialistischen Bewegung (PASOK), eine "Einheitsfront" zu bilden, um die Krise zu bewältigen. Bereits vor einigen Tagen hatte er von einer "Odyssee für das Griechentum" gesprochen.

Jan Hübel ist Chefredakteur der in Athen erscheinenden deutschsprachigen "Griechenlandzeitung" und lebt seit fast 25 Jahren in der griechischen Hauptstadt.