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Sigmar Gabriel ist seit 100 Tagen SPD-Chef Mühsame Rückkehr ins wahre Leben

20.02.2010, 05:16

Z: Magdeburg ZS: MD PZ: Magdeburg PZS: MD Prio: höchste Priorität IssueDate: 19.02.2010 23:00:00
Von Joachim Schucht

Fast 100 Tage nach seiner Wahl zum SPD-Vorsitzenden ist Gabriel in die Gustav-Heinemann-Oberschule in Berlin-Marienfelde gekommen, um zwei Stunden lang mit gut 90 Oberstufenschülern zu diskutieren. Die jungen Leute sind ausgesprochen gut vorbereitet, immer wieder wird hartnäckig nachgehakt. Es geht um Mindestlöhne, die Rente, Afghanistan und auch darum, was die SPD in ihrer Regierungszeit alles falsch gemacht hat.

"Im Kern ist es so: Wir sind ein Stück weit einer Ideologie nachgelaufen, die wir heute Neoliberalismus nennen, freie Märkte und niedrigere Löhne", sagt Gabriel. "Das haben die Leute uns übelgenommen." Den Auftritt absolviert Gabriel mit gewohnter Schlagfertigkeit.

Viele der angehenden Abiturienten äußern sich angetan. Er habe sich nicht angebiedert, sondern seine Meinung klar vertreten. Zu vage waren den meisten allerdings Gabriels Antworten, wie er den raschen Genesungsprozess der SPD anpacken will.

Dass er dafür keine fertigen Rezepte hat, wiederholt Gabriel bei ziemlich jeder Gelegenheit. Bislang sieht es so aus, dass die Partei diesmal die notwendige Geduld mit dem neuen Führungspersonal aufbringt. "Wir müssen raus ins Leben, da wo es brodelt und gelegentlich auch stinkt", hatte der neue Vormann in seiner Rede vor seiner 94-Prozent-Wahl am 13. November in Dresden als Erfolgsdevise ausgegeben.

Größere Pannen hat der 50-Jährige in seinen ersten 100 Tagen vermieden. Über einige Schnitzer, wie sein gelegentlich großzügiger Umgang mit Fakten, wird milde hinweggesehen. Auch über den Hang zu rhetorischen Schnellschüssen und ungeschützten Dampfplaudereien je nach Tageslaune.

Nicht zuletzt der mäßigende Einfluss des Fraktionschefs auf Gabriel führte dazu, dass größere Zerreißproben in der Partei bislang ausgeblieben sind. Sowohl beim Thema Afghanistan als auch bei der Neuregelung für die Jobcenter schaffte es Frank-Walter Steinmeier, den Parteichef von der Absicht abzubringen, auf offenen Konfrontationskurs zur Regierung einzuschwenken. An der unterschwelligen Rivalität zwischen beiden dürfte sich aber so schnell kaum etwas ändern. (dpa)