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Auf 100 Tage Streit folgt ein verpatzter Neustart Schwarz-Gelb heißt jetzt: Jeder arbeitet auf eigene Rechnung

09.02.2010, 05:15

Z: Stendal ZS: SDL PZ: Stendal PZS: SDL Prio: höchste Priorität IssueDate: 08.02.2010 23:00:00


Von Frank Rafalski und Marc-Oliver von Riegen

Die zweiten 100 Tage der schwarz-gelben Koalition haben so begonnen, wie die ersten 100 endeten – im Streit. Die FDP sucht jetzt die Konfrontation in der Sache, um bis zur NRW-Wahl im Mai aus dem Umfragen-Loch wieder herauszukommen. Die Union hält sich offiziell noch bedeckt, weil sie genug damit zu tun hat, Störfeuer aus den eigenen Reihen zu Atomkraft und zur Steuerpolitik zu stoppen. Inoffiziell gibt es aber Kopfschütteln über den neuen Krach-Kurs des Koalitionspartners.

Als das Jahr noch jung und die Hoffnungen noch groß waren, rief Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) im romantischen Wildbad Kreuth "die Gelegenheit zu einem Neustart" für die Koalition aus. Einen Monat später sieht es mit dem Neustart nicht so rosig aus.

Ausgerechnet der Mann, der im Mai in Nordrhein-Westfalen das schwarz-gelbe Bündnis verteidigen soll, fährt mit eigenen Manövern dazwischen. Er droht angesichts der klammen Finanzlage der Kommunen mit einem Nein im Bundesrat zu weiteren Steuersenkungen. Und die Pläne der Liberalen für eine Gesundheitsprämie will er nur mit einem Sozialausgleich mittragen.

Die FDP ist aber auch sauer, weil Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) jetzt eine nur moderate Verlängerung der Atom-Laufzeiten anpeilt. Dazu kommt für die Liberalen der Dauerärger aus München. CSU-Chef Horst Seehofer zerpflückt die FDP-Idee der Gesundheitspauschale gern und oft.

Die CDU hält sich mit scharfen Reaktionen auf die forschen Töne des liberalen Koalitionspartners allerdings auffallend zurück. Obwohl die FDP den Zeitplan für ein Steuersenkungskonzept infrage stellt, gibt sich die CDU-Spitze versöhnlich und verzichtet auf einen Gegenangriff.

"Mit Wohlwollen" will die CDU auf ein Konzept der FDP reagieren, auch wenn es noch vor der Steuerschätzung von Anfang Mai kommt, sagt CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe. "Wir tragen mit Entschiedenheit zum Erfolg dieser Koalition bei." Als er nach der Wunschkoalition gefragt wird, weist Gröhe ausdrücklich darauf hin, dass FDP-Chef Guido Westerwelle der CDU fairen Umgang bescheinigt habe. Die CSU erwähnt er nicht.

Bundestagspräsident und CDU-Präsidiumsmitglied Norbert Lammert macht allerdings klar: "Wir haben uns doch auf ein Verfahren verständigt." Will heißen – nach der Steuerschätzung im Mai. Baden-Württembergs scheidender Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) wird noch deutlicher und spricht von bloßem Wahlkampf der Liberalen.

Bei der FDP liegen inzwischen die Nerven blank. Geschlossen wie selten haben die führenden Liberalen den Hebel umgelegt und setzen nun auf Konfrontation in der Koalition. Der Begriff "Wunschpartnerschaft", der in den ersten 100 Tagen der schwarz-gelben Koalition noch beschworen wurde, taucht nicht mehr auf. Jeder arbeitet nun auf eigene Rechnung.

Die Analyse der FDP-Spitze ist recht einfach: "Rücksichtnahmen auf den Koalitionspartner lohnen nicht. Da ist es besser, wir setzen ganz klar auf unser Profil." Wen auch immer man nach den mehrstündigen internen Krisenberatungen bei den Liberalen befragte, die Antwort war: "Die FDP muss wieder Motor der Koalition werden."

Nachdenklichere im FDP-Vorstand sehen den rapiden Ansehensverlust der FDP in Umfragen auch in einem anderen Zusammenhang: "Wir hatten eine Strategie, wie wir in die Regierung kommen. Wir haben aber keine, was wir da tun." Ein Großteil des erkennbaren Frusts von Parteichef und Außenminister Westerwelle liegt wohl auch darin: Er weiß nicht so recht, wie er zusammen mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wieder Ruhe in das Regierungsschiff bringen kann. So klingt die Trotz-Reaktion der Liberalen sehr stark nach der Devise "Augen zu und durch". In dem Umfragen-Tief seiner Partei sieht Wirtschaftsminister Rainer Brüderle trotz allem keinen Grund für größere Beunruhigung: "Abgerechnet wird erst wieder in vier Jahren." (dpa)