1. Startseite
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Rechtspopulisten auf dem Vormarsch

Der Erfolg der Front National trübt die Freude der Linken bei den Wahlen zur Nationalversammlung Rechtspopulisten auf dem Vormarsch

12.06.2012, 03:17

Eine rechtsextreme Partei als dauerhaft drittstärkste politische Kraft: Was in Deutschland als Horrorszenario gilt, ist in Frankreich bittere Realität. In der ersten Runde der Wahlen zur Nationalversammlung holte die Front National (FN) landesweit 13,6 Prozent - mehr als doppelt so viel wie die Grünen und das extreme Linksbündnis Front de Gauche. Würde das französische Wahlrecht nicht Parteien ohne Bündnispartner stark benachteiligen, hätten die Rechtspopulisten in der ersten Kammer der Nationalversammlung ein gewichtiges Wort mitzureden.

Das gute Ergebnis der Rechten trübte gestern sogar die Freude von Staatspräsident François Hollande und der Sozialisten über ihre glänzenden Aussichten für die zweite Wahlrunde. Parteichefin Martine Aubry rief dazu auf, den Einzug der von Jean-Marie Le Pen gegründeten Front National in die Nationalversammlung mit allen Mitteln zu verhindern. In einzelnen Wahlkreisen, in denen sich drei oder mehr Kandidaten für die zweite Runde am kommenden Sonntag qualifiziert haben, sollen sich Sozialisten ohne Erfolgsaussichten sogar zurückziehen, selbst wenn dann ein Bürgerlicher oder anderer Linkskandidat zum Zuge kommt.

Die Front National jubiliert angesichts von so viel Aufmerksamkeit und strotzt vor Selbstbewusstsein. Parteigründer-Tochter Marine Le Pen lehnte es gestern strikt ab, eigene Kandidaten zurückzuziehen, um die Erfolgsaussichten von gemäßigten Rechten zu steigern. Mit stolzgeschwellter Brust nennt sie die FN "drittgrößte politische Kraft des Landes" - schon in der ersten Runde der Präsidentenwahl vor fünf Wochen war sie Dritte geworden.

Der Erfolg der FN kommt nach Ansicht von Politikwissenschaftlern nicht von ungefähr. Die 43 Jahre alte Le Pen verordnete der 1972 gegründeten Partei nach ihrem Antritt als Vorsitzende eine radikale Verjüngungs- und Imagekur. Auf Parteiveranstaltungen werden Glatzenträger mit Springerstiefeln nicht mehr geduldet. Und auch verbale Attacken gegen Muslime oder Homosexuelle gab es zuletzt nicht mehr. Die Radikalität beschränkt sich auf die Ablehnung des Euro und Einwanderungsfragen. Mit diesem Kurs holte die FN nun mehr als dreimal so viele Stimme wie bei der ersten Parlamentswahlrunde 2007.

Jüngstes Aushängeschild der Partei ist Jean-Marie Le Pens Enkelin Marion Maréchal-Le Pen. Die telegene 22-Jährige wurde am Sonntag in ihrem Wahlkreis überraschend stärkste Kandidatin - mit 34 Prozent. Sie übertraf damit sogar die bisherige Bestmarke ihre Tante Marine Le Pen. Sollte Marion Maréchal-Le Pen weiterhin politisch aktiv bleiben, kann sie 2017 auf einen Platz in der Nationalversammlung hoffen - Präsident François Hollande hat versprochen, das Wahlrecht in der kommenden Legislaturperiode zu ändern. Zumindest rund 100 Sitze sollen künftig nach dem Verhältnisprinzip besetzt werden.

Während bei der FN Erfolgsgeschichten für Schlagzeilen sorgen, sind es in den anderen Lagern bittere Niederlagen. Linksfront-Führer Jean-Luc Mélenchon wollte sich im strukturschwachen Norden Frankreichs als mutiger Bekämpfer der Rechten positionieren - er flog bereits in der ersten Runde aus dem Rennen und das gegen seine Feindin Marine Le Pen.

Ein ebenso bitteres Schicksal droht der Ex-Präsidentschaftskandidatin der Sozialisten, Ségolène Royal. Die 58-Jährige wollte Vorsitzende der Fraktion in der Nationalversammlung werden. In der ersten Wahlrunde schnitt sie so schlecht ab, dass ihr nur wenig Chancen auf ein Mandat gegeben werden. Im schlimmsten Fall wird sie ohne Amt verfolgen müssen, wie ihr Ex-Lebensgefährte Hollande einen Traum der Partei verwirklicht: Zum ersten Mal die Mehrheit in beiden Parlamentskammern zu haben und gleichzeitig den Präsidenten zu stellen. (dpa)