In den Hochhausvierteln rund um deutsche Großstädte gibt es immer weniger freie Wohnungen Renaissance der Platte

Weil Innenstadtwohnungen knapp werden, drängen wieder mehr Mieter in die lange ungeliebten Blocks am Rand vieler Großstädte. Schon gibt es Warnungen, alte Fehler nicht zu wiederholen.

28.08.2014, 01:18

Berlin (dpa) l Heute hat Andrej Eckhardt das nicht mehr nötig. Es ist zehn Jahre her, dass seine Inserate Aufsehen erregten: Junge Paare wohnen ein Jahr mietfrei! "Wir hatten elf Prozent Leerstand", sagt der Vorstand der Wohnungsgenossenschaft Grüne Mitte im Berliner Plattenbau-Viertel Hellersdorf.

Heute betont Eckhardt: "Wir machen keine Sonderaktionen mehr." Die Mieter kommen auch ohne Werbegags. "Letztes Jahr hatten wir einen richtigen Run." Das ist nicht nur in Berlin so. Ob Köln, Hamburg, München, Leipzig - in den Hochhausvierteln rund um die deutschen Großstädte gibt es immer weniger freie Wohnungen.

Dunkle Ecken und Angst-Räume weggefallen

Während in schrumpfenden Städten in Ost wie West die Abrissbirne noch in Zehntausende Wohnungen einschlagen soll, planen andere schon Neubauten zwischen 60er-Jahre-Wohnblöcken. "Die Großsiedlungen erleben vielerorts eine Renaissance", heißt es beim Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW). Die Vermieter sprechen von einem Imagewandel der Quartiere, von denen viele lange Zeit als soziale Brennpunkte verschrien waren.

Allein in den sieben größten Städten stieg die Bevölkerungszahl laut Bundesbauministerium seit 2007 um rund 330000. In manchen Szenevierteln stehen Mietinteressenten bei Besichtigungen Schlange bis auf die Straße. Und die, die sich die angesagten Quartiere nicht leisten können, weichen aus.

Beispiel Berlin: Die Hauptstadt wuchs im vergangenen Jahr um 48 000 Einwohner. In zehn Jahren sank die Leerstandsquote in den 700000 öffentlichen und Genossenschaftswohnungen von 5,4 Prozent auf 2 Prozent, wie der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen mitteilt. Seine Mitglieder halten viele Wohnungen in Großsiedlungen.

Verbandssprecher David Eberhardt führt den Andrang nicht nur auf die Knappheit in der Innenstadt zurück, sondern auch darauf, dass Unternehmen und öffentliche Hand Millionen in Siedlungen wie etwa das Märkische Viertel im Westen der Stadt steckten - in neue Bäder, Dämmung und das Umfeld. "Die Angst-Räume sind weggefallen", sagt Eberhardt. "Die dunklen Ecken, die uneinsehbaren Hauseingänge."

Für den Deutschen Mieterbund kritisiert Geschäftsführer Ulrich Ropertz: "Für viele Mieterhaushalte ist das Wohnen in der Innenstadt kaum noch bezahlbar." Die Groß- und Uni-Städte zögen immer mehr Menschen an, ohne dass in den vergangenen Jahren neue Wohnungen hinzukamen. "Das Ausweichen auf die Peripherie ist da unausweichlich."

Der Trend macht der Branche auch Sorgen. "Man kann eine Siedlung sehr schnell ruinieren", warnt GdW-Städtebau-Fachmann Bernd Hunger. Kommunen sollten die Großsiedlungen nicht zu Sammelbecken einkommensschwacher Haushalte machen. "Es muss eine sozialverträgliche Mischung da sein", fordert Hunger. Die meist kommunalen Vermieter müssten ihre Mieter deshalb selbst auswählen dürfen.

Zuzug in Magdeburgs attraktive Gebiete

Für die Genossenschaft Grüne Mitte in Hellersdorf ist das selbstverständlich. "Wir wollen nicht auf "Teufel komm raus" vermieten", sagt Vorstand Eckhardt. Bei durchschnittlich gut fünf Euro Kaltmiete je Quadratmeter kämen aber auch Geringverdiener zum Zuge, es gebe kaum Mietausfälle. "Und es kommen mehr Leute, die in Lohn und Brot sind."

Auch in Sachsen-Anhalt ziehen Menschen vermehrt in die Städte. "In Dörfern bricht seit Jahren die Infrastruktur auseinander. Junge Leute ziehen in die Stadt. Zurück bleiben die Alten", berichtet Roland Meißner, Direktor des Verbands der Wohnungsgenossenschaften in Sachsen-Anhalt. Von einer Renaissance der "Platte" will Meißner aber nicht sprechen. Selbst in Altbauwohnungen in der Innenstadt von Magdeburg seien die Mieten längst nicht so hoch wie bei den begehrten Lagen in Berlin oder Hamburg. "Wir beobachten den Zuzug in attraktive Gebiete, aber auch in die innenstadtnahen Plattenbaugebiete", so Meißner. Das sei eine Frage des Geldbeutels.