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Verbraucherschutzministerium Nordrhein-Westfalen Fast jede Pute mit Antibiotika behandelt

Antibiotika in der Tiermast belasten am Ende der Nahrungskette auch
Menschen. Wenn Keime Resistenzen gegen Antibiotika entwickeln, kann es
für Patienten lebensgefährlich werden. Aus NRW gibt es erneut
alarmierende Untersuchungsergebnisse aus Geflügelställen.

26.11.2014, 01:14

Düsseldorf (dpa) l In der Geflügelmast werden noch immer massenhaft Antibiotika eingesetzt: In Nordrhein-Westfalen werden neun von zehn Puten in der Massentierhaltung mit den hochwirksamen Arzneien behandelt. Das hat eine neue Untersuchung ergeben, die NRW-Verbraucherminister Johannes Remmel (Grüne) am Dienstag in Düsseldorf vorgestellt hat. Die routinemäßigen Antibiotika-Gaben in der Putenmast hätten ein alarmierendes Ausmaß erreicht, kritisierte der Minister. Allen kritischen Debatten der vergangenen Jahre zum Trotz gebe es kein freiwilliges Umdenken in der Geflügelbranche.

Dabei gehe es nicht allein um Tierschutz, sondern auch um Gefahren für Menschen, warnte Remmel. "In den letzten 15 Jahren hat die Anzahl multiresistenter Keime in Krankenhäusern, die aus der Tierhaltung kommen, dramatisch zugenommen auf 15 Prozent."

Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) forderte Bund und Länder auf, die Kontrollen zu verstärken und dem massenhaften Antibiotika-Einsatz den Riegel vorzuschieben.

Besorgniserregend sei vor allem, dass unter den insgesamt 22 Wirkstoffen, die in der Putenmast nachgewiesen worden seien, auch sogenannte Reserve-Antibiotika gewesen seien, berichtete Remmel. Dies seien häufig die letzten lebensrettenden Mittel gegen ansonsten resistente Keime, erläuterte der Präsident des Landesumweltamts, Thomas Delschen. "Das ist der letzte Schuss im Revolver."

Bislang gebe es im Tierschutzrecht keine verbindlichen Vorschriften zur Haltung von Mastputen, kritisierte Remmel. NRW werde einen Vorstoß im Bundesrat unternehmen, um diese Lücke zu schließen. Auch das von der alten Bundesregierung nur halbherzig novellierte Arzneimittelgesetz müsse erneut nachgebessert werden.

Vor allem fehle ein konkretes Ziel, um die Antibiotika-Gaben zu mindern - möglichst um 50 Prozent innerhalb von drei Jahren. 2013 seien bundesweit 1452 Tonnen Antibiotika bei Nutz- und Haustieren eingesetzt worden. Dies sei zwar weniger gewesen als ein Jahr zuvor, allerdings würden mehr hochwirksame Präparate eingesetzt, berichtete Remmel.

In NRW waren von Januar bis November 2013 insgesamt 516 sogenannte Aufzucht- und Mastdurchgänge ausgewertet worden. Damit seien fast alle rund 1,3 Millionen zu dem Zeitpunkt in NRW gehaltenen Puten erfasst worden, sagte Remmel. Bei einem Drittel der überprüften Wirkstoffeinsätze sei sogar ein Präparat verwendet worden, das in Deutschland gar nicht für Puten zugelassen sei. Ob strafbare Handlungen vorliegen, werde gepüft.

Im Extremfall seien während der nur sechsmonatigen Mast 21 Antibiotika-Behandlungen nachgewiesen worden - mit bis zu zehn verschiedenen Wirkstoffen. "Das ist ein absolut krankes System", kritisierte Remmel. Das Recht der Tierärzte, selbst Antibiotika zu verkaufen, müsse auf den Prüfstand.

Seit 1970 habe die Putenmast in Deutschland von damals 850 000 auf mittlerweile über 11 Millionen Tiere stark zugenommen. Zu den Auswüchsen gehöre, dass inzwischen 80 Prozent der Tiere der schweren Rasse "Big 6" angehörten. Diese Tiere könnten sich kaum auf den eigenen Gliedern halten und bekämen noch mehr Antibiotika verabreicht als leichtere Artgenossen, berichtete Remmel.

Der Grüne forderte Gesetze gegen Überzüchtung und unzureichende Haltungsbedingungen. Die freiwillige Vereinbarung der Geflügelbranche reiche nicht aus. 2015 soll eine bundesweite Antibiotika-Datenbank neue Erkenntnisse liefern. Darauf dürfe aber nicht gewartet werden, mahnte der BUND.