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Freihandelsabkommen Mehr Wachstum, weniger Rechte

Das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA stößt in
Sachsen-Anhalt auf ein geteiltes Echo. Die Regierung hofft auf Wachstum
und Jobs, doch selbst Unternehmen fürchten, dass das TTIP auch negative
Folgen haben könnte.

27.12.2014, 01:13

Magdeburg l Die Zollschranken zwischen der EU und den USA sollen mit dem geplanten Freihandelsabkommen TTIP endgültig fallen. Derzeit liegen die Zölle im Schnitt bei drei Prozent. Darüber hinaus sollen Normen angeglichen werden. Hierbei geht es unter anderem um technische Fragen, etwa welche Mindestgröße ein Außenspiegel am Auto haben darf.

In Sachsen-Anhalt könnte vor allem der Mittelstand von dem Abkommen profitieren, erklärt das Wirtschaftsministerium. Schon jetzt sind die USA nach China der zweitgrößte Exportmarkt außerhalb der EU. 2013 wurden Waren und Dienstleistungen im Wert von rund 555 Millionen Euro aus Sachsen-Anhalt in die USA exportiert, hauptsächlich pharmazeutische Erzeugnisse, Kupferprodukte sowie Glas. Mit Schaffung der Freihandelszone könnten die Firmen ihre Geschäfte auf dem US-Markt ausbauen und Jobs schaffen.

Abkommen nützt eher den großen Konzernen

Vom Wegfall der Zollschranken würden auch die Verbraucher in Sachsen-Anhalt profitieren. Amerikanische Firmen könnten ihre Waren den Kunden hierzulande günstiger anbieten, weil die entsprechenden staatlichen Schutzgebühren wegfallen. Allerdings bleibt es den Firmen überlassen, ob sie die Kostenersparnisse in Form von Preissenkungen weitergeben. Alternativ könnten sie schlicht höhere Gewinne für sich verbuchen.

Überzeugt vom TTIP ist auch der Harzer CDU-Europaabgeordnete Sven Schulze. Er sieht nicht nur im Wegfall der Zollschranken Vorteile, sondern auch in der Angleichung von Normen. "Bislang macht jeder US-Bundesstaat eigene Vorgaben. Gerade für kleinere Firmen in Sachsen-Anhalt lohnt es sich deshalb oft nicht, zu exportieren, weil sie ihre Produkte immer erst den entsprechenden Normen anpassen müssten."

Schulze geht davon aus, dass sich die geplante Freihandelszone zwischen der EU und den USA ebenso positiv entwickeln könnte wie der europäische Binnenmarkt: "Bevor der europäische Binnenmarkt geschaffen wurde, gab es über die EU-Länder verteilt etwa 150000 Vorgaben und Indus-trienormen, die Unternehmen bei ihren Produkten einhalten mussten. Mittlerweile sind es nur noch rund 19000. Dadurch konnte der Handel florieren, die Wirtschaft wachsen."

Kritiker fürchten jedoch, dass dass TTIP nur den großen Konzernen nützt, sich für den Mittelstand nichts ändert. "Von der Angleichung von Normen würden wir nicht profitieren", sagt Norbert Ott, Vertriebsleiter beim Anhaltischen Elektromotorenwerk Dessau (AEM). Das Unternehmen stellt mit 230 Mitarbeitern Drehstrommotoren und -Generatoren her und liefert sie in mehr als 70 Länder. Auf dem US-Markt ist der Mittelständler nicht aktiv, weil es für die Lieferung von Maschinen teure Produkthaftpflicht-Versicherungen abschließen müsste. "Solche Barrieren wie diese Versicherungen, aber auch umfangreiche Dokumentationspflichten werden mit dem Freihandelsabkommen voraussichtlich leider nicht abgeschafft", kritisiert Ott. Er sieht auch die Angleichung technischer Normen kritisch. "Mittelständler wie wir sind am Markt erfolgreich, weil wir qualitativ hochwertige Produkte herstellen. Beim TTIP sehe ich die Gefahr, dass Normen und Standards abgesenkt werden. Das hilft vielleicht griechischen Firmen, aber nicht uns."

Der Magdeburger IHK-Präsident Klaus Olbricht fordert, dass beim TTIP alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden müssten, um den bürokratischen Aufwand für die Unternehmen zu minimieren. Er geht jedoch nicht davon aus, dass Standards im Zuge der Verhandlungen abgesenkt werden.

Beim Freihandelsabkommen geht es allerdings nicht nur um die Angleichung von technischen Standards. Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen fürchten, dass auch die hohen Sozialstandards und Verbraucher-Rechte innerhalb der EU abgesenkt werden könnten. Hormonbehandeltes Fleisch oder gentechnisch veränderte Pflanzen aus den USA könnten über das TTIP auf den europäischen Markt gelangen.

Handlungsfähigkeit von Kommunen bedroht

Darüber hinaus ist die mögliche Liberalisierung des Dienstleistungssektors umstritten. Kritiker befürchten, dass die wirtschaftlichen Tätigkeiten von Kommunen zugunsten privater Unternehmen eingeschränkt werden könnten. Städte und Gemeinden könnten im Zuge sogenannter "Marktzugangsverpflichtungen" dazu gedrängt werden, typische Dienstleistungen wie die Trinkwasserversorgung oder den Nahverkehr an private Investoren zu verkaufen. Und: "Liberalisierungen, die einst durchgeführt wurden, können dann nicht mehr zurückgedreht werden", warnt die Abgeordnete Franziska Keller, die für die Grünen im Handelsausschuss des EU-Parlamentes sitzt. Große Städte wie Halle oder Dessau haben ihre Stadtwerke bislang nicht privatisiert. An den Städtischen Werken Magdeburg (SWM) sind hingegen neben der Landeshauptstadt selbst auch Gelsenwasser und die EAV Beteiligungs-GmbH beteiligt.

Helmut Herdt, Sprecher der SWM-Geschäftsführung, sieht die Liberalisierungsbemühungen kritisch: "Die Bundesregierung muss sicherstellen, dass Kommunen auch künftig darüber entscheiden können, ob sie die Wasser- und Energieversorgung staatlich anbieten oder die Leistungen an private Unternehmen vergeben."

Problematisch sei der mögliche Liberalisierungszwang vor allem für Regionen, in denen die Bevölkerung zurückgeht. "Für private Unternehmen könnte es sich aber bald nicht mehr lohnen, in solchen Regionen die Wasserversorgung zu übernehmen. Umso wichtiger ist es dann, dass die Kommunen solche Leistungen auch selbst weiterhin anbieten dürfen."

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) betonte jüngst, mit dem TTIP würden weder Standards gesenkt, noch die Handlungsfähgkeit der Kommunen begrenzt. In Blei gegossen ist das aber noch nicht. Die nächste Verhandlungsrunde zum TTIP zwischen der EU und den USA findet am 2. Februar in Brüssel statt.