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  7. Gespitzelt wurde damals schon: Briten hörten den Truppenübungsplatz von Berlin aus ab

Auftakt zur dreiteiligen Veranstaltungsreihe anlässlich des Abzuges der Russen aus dem Jerichower Land vor 20 Jahren. Von Bettina Schütze Gespitzelt wurde damals schon: Briten hörten den Truppenübungsplatz von Berlin aus ab

18.03.2014, 01:17

Einen gelungenen Auftakt feierte am Mittwochabend die dreiteilige Vortragsreihe zum Abzug der Russen vor 20 Jahren aus dem Jerichower Land in Lübars. Im Mittelpunkt standen die Geschichte des Truppenübungsplatzes Altengrabow und der WGT-Liegenschaften im Landkreis.

Lübars l Am 22. April 1994 verabschiedete sich die Westgruppe der Truppen der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland vom Truppenübungsplatz Altengrabow. Am 5. Juli 1994 hat der letzte Sowjetsoldat das Land Sachsen-Anhalt verlassen. Dieses epochale Ereignis war Anlass für eine Gruppe Geschichtsinteressierter um Rainer Aumann, die Ereignisse noch einmal aufzuarbeiten. "Mit solch einem großen Interesse der Bürger hatten wir nicht gerechnet", freute sich Rainer Aumann. Rund 150 Besucher aus dem Jerichower Land waren am Mittwochabend in die Gaststätte "Zum Fläming" nach Lübars gekommen.

Einen ersten Höhepunkt gab es gleich zu Beginn der rund 90-minütigen Veranstaltung. Mitglieder der Jugendfeuerwehren aus Wüstenjerichow, Küsel und Drewitz marschierten in alten Original-Uniformen der Russen und Original-Musik in den Saal ein und wurden vom Moderator des Abends, Jochen Müller vom MDR, begrüßt. Spontaner Beifall des Publikums war ihnen sicher.

Ein emotionaler Höhepunkt war der Auftritt von Igor Ponomarenko. Der Ukrainer war von 1985 bis 1989 auf dem Truppenübungsplatz Altengrabow, zunächst als Wehrpflichtiger, dann als Berufssoldat, stationiert. "Wir hoffen, dass in der Ukraine wieder alles gut wird", machte er auf Frage von Jochen Müller zur aktuellen Lage in seiner Heimat deutlich.

Er berichtete auch von seiner Zeit auf dem Truppenübungsplatz. Igor Ponomarenko: "Den Wehrdienst möchte ich heute nicht noch einmal wiederholen. Als Berufssoldat war es lockerer." Für den Wehrpflichtigen ging der Dienst von 6 bis 22 Uhr. In den Nächten gab es häufig dann noch Alarm. Viele Soldaten seien desertiert und wieder zurückgebracht worden. "Sie wurden dann zum weiteren Dienst ,motiviert`", so der ehemalige Panzerfahrer.

"Den Wehrdienst möchte ich heute nicht noch einmal wiederholen."

Als Berufssoldat hatte Igor Ponomarenko auch viel Freigang außerhalb des Truppenübungsplatzes. "Wir sind viel nach Magdeburg gefahren. Kino und Disco, zum Beispiel in Parey, gab es auch." Dabei habe er auch seine Frau kennengelernt.

Über den Abzug der WGT-Truppen war er damals "glücklich-traurig", erzählte er. Zum Zeitpunkt des Abzuges war er auf Familienurlaub. "Als ich zurück kam, war keiner mehr da." Als jung Verliebter ging er dann mit seiner Frau zurück in die Ukraine und kam nach eineinhalb Jahren zurück nach Deutschland. Er lebt heute in Genthin. Der Truppenübungsplatz hat den Ukrainer jetzt aber wieder. Als Mitarbeiter einer Kampfmittelbeseitigungsfirma ist er an der Räumung des Platzes beteiligt.

Hochinterssant, weil für die meisten Besucher in dieser Detailliertheit Neuland, waren die Ausführungen von Mike Barton. Er hörte damals als Angehöriger der britischen Streitkräfte von Berlin aus den Truppenübungsplatz Altengrabow ab. Aus dem Blickwinkel der Westalliierten berichtete er mit typisch britischem Humor über Funkaufklärung, das Anzapfen von Kabeln, die Militärischen Verbindungsmissionen (MVM) sowie die Stasi-Beobachtungsposten.

"Die Amerikaner hatten das Geld, wir das Know-how, und wir haben zusammen gearbeitet", so Mike Barton. Er war zunächst im Hauptquartier in Bingelen, direkt an der niederländischen Grenze, im 13. NaR (Nachrichten-Regiment) stationiert. Weiter gab es die 225. NaK (Nachrichten-Kompanie) in Langleben und die 3. NaK auf dem Teufelsberg in Berlin-Gatow. Nach Berlin-Gatow wurde Mike Barton nach kurzer Zeit versetzt.

Rund um Berlin gab es ein Ringkabel, was der Abhörtätigkeit entgegen kam. "Wir hatten schon Erfahrung in solchen Sachen", erklärte der heute in Deutschland lebende Brite. Dabei ging es den Briten nicht nur um Deutschland. Auch Österreich beispielsweise war betroffen. Das Ringkabel war sehr abhörenswert. Mike Barton: "Wir haben das sowjetische Kabel angezapft und viel gelernt."

"Wir haben das sowjetische Kabel angezapft und viel gelernt."

Die Russen haben aber schon im Voraus durch Verrat eines Agenten gewusst, dass ihr Kabel angezapft wurde. Das Wetter hat dann alles aufgedeckt. Mike Barton: "Es hat geregnet und man hat das Loch gefunden. Aber es waren gute Zeiten."

Zwischen den Alliierten wurden "Zweiseitige Abkommen" über die Militärischen Verbindungsmissionen geschlossen. Die Leute in den MVM konnten sich einigermaßen frei in der DDR bewegen. Insgesamt gehörten dem MVM über 90 Personen an. Die Briten stellten mit 31 Militärangehörigen den mit Abstand größten Teil der drei Alliierten. Die Franzosen hatten 18, die Amerikaner 14. Bis Ende der 50er Jahre gehörten auch Offiziere der Royal Navy (RN) dazu. "Wir Briten waren jeden Tag bei jedem Wetter unterwegs. Das hat sich gelohnt", blickte Mike Barton zurück.

"Wir hatten schon was abzuhören. Es war schön."

Stasi-Beobachtungsposten waren auch aktiv. Sechs Posten gab es bei den Briten, drei bei den Amerikanern und fünf bei den Franzosen. Trotzdem wurden fleißig und intensiv die Aufgaben erledigt. Dazu gehörten Aufklären, Zielsuchen, Vermessen sowie Sonder- und Verbindungsaufgaben. Mike Barton: "Wir haben die DDR ganz penibel vermessen. Jeder Feldweg war eingezeichnet. Es waren gute Karten, die es aber nicht zu kaufen gibt." Auch aus der Luft gab es dabei durch Flugzeuge Unterstützung. "Wir hatten schon was abzuhören. Es war schön", meinte Mike Barton. Später gab Helmut Kohl den MVM 24 Stunden Zeit, das Land zu verlassen.

Harald Uwe Bossert, Landeskommando Magdeburg, Arbeitskreis "Sicherheitspolitik und Militärgeschichte", widmete sich der Geschichte des Truppenübungsplatzes. "Es geht nur in Auszügen. Die komplette Geschichte würde hier den Rahmen sprengen", machte Uwe Bossert deutlich. Dem vorwiegend älteren Publikum war sicher vieles bekannt. Aber Uwe Bossert fesselte trotzdem mit seinen Ausführungen die Aufmerksamkeit der Zuhörer. So berichtete er zum Beispiel, dass es einen "Kaiser-Bahnsteig" auf dem Bahnhof in Altengrabow gab. Sicher auch dem geschuldet, dass Kaiser Wilhelm II. oft auf dem Truppenübungsplatz zu Besuch war.

Zur zweiten Veranstaltung am 19. März um 19 Uhr im Kulturhaus in Drewitz werden zu einer "Talkrunde" Umweltminister a. D. Wolfgang Rauls, Landrat a. D. Wolfgang März, Oberstleutnant a. D. Gernot von Starck sowie die ehemalige Bürgermeisterin von Dörnitz, Christel Kitschke, erwartet.