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Depression Von der Unlust zu leben

In der psychiatrischen Tagesklinik in Burg werden Menschen behandelt,
die keine Freude mehr am Leben empfinden können oder die mit ihren
Pflichten und Sorgen überfordert sind. Ärzte und Schwestern berichten
von ihrem täglichen Kampf gegen Depressionen und Co.

Von Linda Wenzel 30.06.2014, 01:47

Burg l Eigentlich hat der 45-jährige Peter ein erfülltes Leben: Er hat eine Frau und zwei gesunde Kinder. Als Bankkaufmann verdient er gutes Geld. Doch in der letzten Zeit fühlt er sich zunehmend kraftlos und niedergeschlagen. Immer öfter meldet er sich bei der Arbeit krank, hat keine Energie mehr. Selbst seine große Leidenschaft, das Motorradfahren, macht ihm keinen Spaß mehr. Nachts kann er nicht schlafen. Manchmal träumt er von Selbstmord.

Mit diesem Beispiel beginnt Diplom-Psychologin Ines Große ihren Vortrag zum Thema Depression. Die psychiatrische Tagesklinik in Burg hilft Menschen wie Peter, die Freude am Leben und den Weg zurück in einen normalen Alltag wiederzufinden. Dieser Weg ist beschwerlich. Die Behandlung verlangt den Patienten und ihren Angehörigen viel Zeit und Geduld ab. "Das Zusammenleben mit einem depressiven Menschen ist nicht leicht", sagt Ines Große. Die Burger Tagesklinik behandelt im Schnitt 27 Patienten. Die Patienten kommen an den Wochentagen für jeweils acht Stunden zu ihren Therapiesitzungen. Die Abende und Wochenenden verbringen sie zu Hause bei ihren Familien. An der Klinik werden Depressionen und Persönlichkeitsstörungen behandelt. Auch wer an einem "gebrochenen Herzen" leidet oder wem ein Problem so "schwer im Magen liegt", dass die Bauchschmerzen nicht mehr aufhören, kann sich hier behandeln lassen. Denn häufig werden diese körperlichen Beschwerden durch seelische Belastungen hervorgerufen.

Den Betroffenen stehen mehrere Therapieangebote zur Verfügung. "Die schönen Dinge des Lebens sollen den Patienten wieder bewusst gemacht werden", erklärt die Krankenschwester Janin Murschitzke. So zum Beispiel im Zuge der Genusstherapie.

Hier werden alle fünf Sinne angesprochen. Das soll den Patienten helfen, den Geschmack von Schokolade oder den Geruch von frisch gemähtem Rasen wieder ganz bewusst wahrzunehmen und sich daran zu erfreuen. "Denn vieles geht im stressigen Alltag an einem vorbei, sodass man die schönen Dinge nicht mehr bewusst erlebt", sagt Murschitzke. Neben der Genusstherapie können die Patienten auch musikalisch und künstlerisch zeigen, was sie können oder sich beim Sport verausgaben. In der Regel finden die Therapien in Gruppen statt, es sind aber auch Einzelsitzungen möglich. In Deutschland werden rund vier Millionen Menschen in ihrem Leben depressiv. Davon sind vor allem Frauen betroffen: Jede vierte erkrankt an einer Depression, bei den Männern sind es nur 12 Prozent. Die Gründe für die anhaltende Traurigkeit sind von Mensch zu Mensch verschieden. Eine erhöhte Anfälligkeit besteht, wenn in der Familie bereits Depressionen aufgetreten sind. Zudem beeinflussen die Familie, der Beruf und das Umfeld das seelische Wohlbefinden. Der Tod eines Angehörigen oder der Verlust des Jobs können Auslöser für die Erkrankung sein. "Das Problem ist, dass eine Depression oft nicht erkannt wird", sagt die Psychologin. Die Traurigkeit schleicht sich in das Leben der Betroffenen ein und wird zunächst als vorübergehende Phase abgetan.

Darüber hinaus sind Angst- und Schamgefühle Faktoren, die häufig zu einer verspäteten Diagnose führen. "Viele depressive Menschen wollen nicht wahrhaben, dass sie krank sind, weil sie sich dafür schämen", erklärt Ines Große. Folglich gibt es eine große Dunkelziffer von Menschen, die sich keine ärztliche Hilfe holen. Große macht deutlich: "In den letzten Jahren hat sich zwar schon viel getan, aber seelische Erkrankungen werden in der Öffentlichkeit immer noch nicht ernst genug genommen."

Viele der Betroffenen finden deswegen erst spät den Weg in die Therapie. Von diesen erlangen laut Große ungefähr die Hälfte ihre gewohnte Leistungsfähigkeit zurück. 15 Prozent der Betroffenen entscheiden sich für den Freitod, so wie der Hannover-96-Torwart Robert Enke. Der Fußballspieler hatte bereits seit sechs Jahren an Depressionen gelitten und war lange in Behandlung gewesen. Am 10. November 2009 warf er sich vor einen Zug.

"Bei manchen schlägt die Therapie einfach nicht an. Wenn man als Ärztin einen Patienten entlassen muss in dem Wissen, dass es ihm nicht besser geht, ist das schon hart", erzählt Ines Große. In solchen Fällen fällt es manchmal schwer, sich emotional zu lösen. "Dann hilft es, mit Kollegen darüber zu sprechen", sagt die Psychologin. Der neue Oberarzt Dr. Jürgen Dapprich erklärt: "Die emotionale Distanz zu den Patienten zu wahren, das muss man lernen." Natürlich fühle man mit den Kranken, aber sobald man die Klinik verlasse, müsse man diese Gefühle hinter sich lassen und abschalten können.

Der umgekehrte Fall ist dafür umso schöner: "Dem Patienten dabei zuzusehen, wie er nach und nach wieder Freude am Leben empfindet, das ist ein tolles Gefühl", berichtet Große lächelnd.

Auch Peter geht es mittlerweile besser. Seit einem Jahr ist er in Therapie und hat nun wieder Freude am Leben. Der Gedanke an Selbstmord kommt ihm nur noch selten. Bei schönem Wetter unternimmt er sogar wieder kleine Ausflüge mit seinem Motorrad.