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Elberadweg getestet Auf zwei Rädern: Liebeserklärung an die Elbe

Grüner Weitblick über Elbauen, Wellen plätschern, der Geruch von Schiffsdiesel zieht hinüber: Die Volksstimme unterwegs auf dem Elberadweg. Reporterin Franziska Ellrich weiß jetzt, wo Radfahrer so richtig durchgeschüttelt werden, wann ein Abstecher lohnt und was die neue Radweg-App kann. Der erste Teil führt von Tangermünde nach Burg.

Von Franziska Ellrich 13.07.2015, 21:22

Tangermünde/Burg l "Die Fahrscheine bitte!" Kurz zieht sich mein Magen zusammen. Wie immer, wenn sich der Bahn-Kontrolleur ankündigt. Die Angst wieder irgendetwas in den dutzend Ticket-Variationen falsch gemacht zu haben, ist einfach zu groß. Aber Glück gehabt. Das Sachsen-Anhalt-Ticket passt. Und das Rad darf in Regionalzügen wirklich kostenfrei mit. Noch ganz entspannt lehnen ich - und mein weißer Flitzer - gegen die Sitze im Fahrradabteil. Unser Ziel: Die Elbe.

Ich studiere noch einmal die Karte, die ich mir auf der Homepage für den Elberadweg ausgedruckt habe. Von Tangermünde soll es über Fischbeck, Jerichow und Elbe-Parey nach Burg gehen. Rund 60 Kilometer später werde ich zwar eine Blase am Daumen und Schmerzen in den Beinen haben - aber ohne auch nur einen Pedaltritt zu bereuen. Weil es hier noch so richtige Natur, so richtige Ruhe gibt. Weil der Blick auf die schnelle Strömung der Elbe es irgendwie alles wieder gut macht.

"Endhaltestelle Tangermünde. Bitte alles aussteigen." Ein leicht verfallenes Bahnhofsgebäude mit vernagelten Fenstern und Türen - damit kein Einzelfall in einer deutschen Kleinstadt - ist also mein Startpunkt. Aufsitzen. Die hübsche Innenstadt macht es wieder wett. Beim Supermarkt, Bäcker und Fleischer gibt es sogar noch das nötige Proviant. Würstchen, Brötchen und Banane landen im Rucksack und stehen heute auf meinem Speiseplan. Dann auf der Arneburger Straße das erste "E" in schön geschwungener Schreibschrift - die Hinweisschilder für den Elberadweg.

Ein Hubschrauber aus Holz sorgt für Gänsehaut

Am Ortsausgang empfängt mich ein Hundechor. Es wird gebellt, was das Zeug hält. Der Kampfrichter kürt gerade über Lautsprecher die besterzogensten Vierbeiner. Ich nehme kurz mal die Hände vom Lenker und applaudiere mit. Gegenüber vom Tangermünder Hundeplatz geht es rauf auf die Brücke. Endlich: Das erste Mal die Elbe im Blick. Gleich hinter der Brücke soll es eigentlich am Wasser entlang nach Fischbeck gehen. Doch ein großes Hinweisschild versperrt den Radweg. Eine Umleitung entlang der Bundesstraße ist ausgeschildert.

Warum der Deich gesperrt ist, wird mir in der Dorfmitte von Fischbeck klar. Ein aus Holz geschnitzter Hubschrauber wirft aus Holz geschnitzte Sandsäcke über einer Sitzbank ab. Zur Erinnerung an den Deichbruch beim Hochwasser im Juni 2013. Ich nehme kurz Platz. Ein Zettel mit vom Regen verschwommener Schrift beschreibt die Ereignisse von damals. Gänsehaut. Drei alte Lastkähne wurden gesprengt, um das Loch in dem gebrochenen Deich zu schließen.

Am Ende des Ortes geht es halbrechts weg zurück in Richtung Radweg. Es gibt zwar kein Hinweisschild, aber zum Glück ist die Elberadweg-App auf dem neuesten Stand. Ein kleiner orangener Punkt zeigt den Standort an und eine markierte Linie die richtige Richtung. Einziges Manko: Man muss wissen, in welchem Ort man sich befindet. Eine Zoom-Funktion zum eigenen Standort wie bei anderen Navigationsprogrammen gibt es nicht.

Es ist Zeit, die glatte Piste zu verlasssen. Holprig geht es auf dem Elbdeich weiter. Mein Magen wird durchgerüttelt und meldet: Hunger. Zweites Frühstück am Elbufer. Kein Motorengeräusch. Nur Vögel, die zwitschern und Frösche, die quaken. Ich esse zur Stärkung ein paar Bären - natürlich aus Gummi. Weiter geht es in Richtung Jerichow. Die Klostertürme sind schon von weitem zu sehen. Musik schallt vom Hof.

Aus Jerichow kommt die Baukunst mit Backstein

Irgendetwas erwartet den Radler dort immer - gerade steht offensichtlich ein Mittelalterfest an. Die Ankündigungen für das nächste Oldtimertreffen sind sicher schon im Druck. Und die Gärten für die Bundesgartenschau frisch bepflanzt. Über all dem wachen die Störche vom Schornstein aus. Einer macht sich gerade flugbereit. Zeit für einen Adebar-Schnappschuss.

Als ich die Kamera zurück in den Rucksack stecke, finde ich den Steckbrief über meinen Streckenabschnitt aus dem Internet wieder. Dort stehen Erklärungen zu den "Säulen der Erde". Für das Prämonstratenser-Kloster in Jerichow ließen die Ordensbrüder im 12. Jahrhundert Lehm zu Backstein brennen und prägten mit der "Romanik in Backstein" nachhaltig die spätere Architektur in Europa. Wieder etwas dazu gelernt.

An der roten Klostermauer entlang, ist der Elberadweg super ausgeschildert. Wer das kleine \'E` mal verpasst, folgt einfach den alten Holzschildern nach Klietznick. Und stoppt unbedingt am kleinen Aussichtsturm. 20 Holzstufen höher erstreckt sich ein weiter Blick in Richtung Jerichow und Bucher Brack. Wo genau vor zwei Jahren das Wasser noch meterhoch stand, ist heute alles grün. Von der Katastrophe kaum noch eine Spur: Über 50 Tiere, Ochsen und Wildpferde, sind dort ertrunken.

Einige hundert Meter weiter ist Klietznick erreicht. Und es wird ländlich. Ein großer Haufen Kuhmist sorgt für das richtige Dorf-Gefühl. Kühe gucken aus dem Stall. Ich winke zurück. Der Weg führt mitten durch den hübschen Ort. Hinweisschilder am Ortsende weisen nach rechts. Ganz kurz frage ich mich, ob ich überhaupt noch im Jerichower Land oder schon längst im Süden Deutschlands angekommen bin. Ein Weinberg am Wegesrand.

Die Äste hängen voller Trauben, der sandige Boden strahlt Wärme aus, hinter dem Wein riecht es nach Nadelwald. Über den Baumwipfeln ragt ein hoher Aussichtsturm. Den hat der Verschönerungsverein Klietznick gebaut. Wer den Holzbau erklimmt, bekommt für einen Euro in die Kasse des Vertrauens einen weiten Blick. Beim Blick auf mein Telefon empfiehlt mir die App neben dem Besuch des 50 Meter hohen Weinbergs auch noch die Jahresbaumallee. Dort stehen Seite an Seite die zum Baum des Jahres gekürten Arten der vergangenen Jahre.

Auf dem Deich nähere ich mich wenig später Ferchland. Hinweisschilder, wie es weitergeht, finde ich hier zwar keine. Dafür warten aber einige kleine Restaurants nur so auf meine Einkehr. Am Ende des Ortes heißt es dann "Urlaub am Steilufer der Elbe". Ein Wanderweg ist ausgeschildert. Mein Drahtesel hat kurz Pause.

Zurück an der Hauptstraße geht es mitten durch Derben. Ein Blumenmeer färbt die Vorgärten von frisch sanierten Häusern bunt. Meine Augen freuen sich. Meine Beine so langsam nicht mehr. "Nächste Pause an der Pareyer Schleuse", motiviere ich mich selbst. Die Elbe ist hier allgegenwärtig. Vier junge Derbener machen gerade im Hof ihr Motorboot klar. Direkt vorm Deich laden Vater und Sohn ihre Kanus vom Autodach ab. Vor der Dorf-Gaststätte weist ein Schild auf eine geschlossene Gesellschaft hin. Aber wer freundlich fragt, bekommt sicher trotzdem eine Erfrischungsbrause. Mit Elbblick.

Zeit zu Zweit: Auf zehn Kilometern allein am Fluss

Nach Kühen, Ziegen und so manch großem Greifvogel treffe ich jetzt auch noch den Derbener Esel. Später folgen immer wieder Schafe - die sollen durch ihren Tritt den Deich verfestigen. Kurz vor Neuderben warten allerdings erstmal Bambi und Co im Wildgehege auf meinen Besuch. Hinter dem Ort geht es nach rechts, unter einem großen Förderband hindurch, direkt zum Anleger vor der Pareyer Schleuse. Rucksack ab. Füße ausstrecken. Pause. Kleine Sportboote beobachten. Die pure Idylle. Bis da dieser Schwan auftaucht. Neidisch auf meine Kekse faucht er mich an. Rückzug.

Hinter der Schleuse geht es laut Plan auf dem Elbdeich weiter. Das verhindert jedoch ein Baustellenschild. Also parallel am Fuß des Deiches heißt es auf einem Feldweg ordentlich in die Pedale treten. Dunkle Wolken ziehen auf. Bagger und Walze erneuern nebenan gerade einen langen Deichabschnitt. Dahinter geht es auf Teer gemütlich weiter. Und dann sind die Elbe und ich allein. Kein Ort, keine Straße in Sicht. Nur Strömung und grüne Elbaue.

"Rechts bleiben bitte, da kommen noch drei," brüllt es hinter mir. Ich zucke zusammen. Rennradfahrer sausen an mir vorbei. Klingeln sind anscheinend nicht mehr in Mode. Ruhe kehrt wieder ein. Ganze zehn Kilometer lang. Wer noch Kraft hat, nimmt den Abzweig nach Zerben. Genau da soll die "Effie Briest" von Autor Theodor Fontane wirklich gelebt haben. Denn die Wiege der unglücklich verheirateten Baronin Elisabeth von Ardenne stand im Schloss Zerben. Dort wird heute ihre Lebensgeschichte erzählt.

Wenig später tauchen die ersten Maisfelder und die Häuserspitzen von Parchau auf. Regen zwingt mich zu einer Pause im Bushaltestellenhäuschen. Auch gut. "T. plus F. für immer", steht dort im Holzbalken eingeritzt. Romantisch. Die Husche ist vorbei. Wer das Wasser lieber von unten mag, muss jetzt einen Abstecher zum Parchauer See machen. Ich allerdings bin für heute nass genug und nehme die Kreisstraße nach Burg. Dort endet meine erste Etappe.

Fazit: Schon auf meinen ersten Kilometern entlang der Elbe habe ich gelernt, dass kein Abschnitt dem anderen gleicht. Dieser breite Fluss mit seiner Vergangenheit flößt mir Respekt ein. Aber keine Angst. Ich habe das Gefühl, wir brauchen die Elbe. Und die Elbe braucht uns.

Im nächsten Teil geht es von Burg bis in die Landeshauptstadt Magdeburg. Warum man dort unter einem Boot picknicken kann, lesen Sie kommenden Dienstag in Ihrer Volksstimme.