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27-Jähriger wegen räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Raub zu Bewährungsstrafe verurteilt Auf Umwegen zur Wahrheit

Von Donald Lyko 28.08.2014, 03:19

Wegen gemeinschaftlich begangener räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gemeinschaftlich begangenem Raub ist ein 27-jähriger Gardeleger zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.

Gardelegen l Sie kommen gemeinsam zur Verhandlung, sind Freunde. Kevin B.*, derzeit obdachlos, darf seine Sachen bei seinem Kumpel Sven T.* unterstellen. Er hält sich tagsüber oft in dessen Wohnung auf. Und doch stehen sie während des Prozesses auf zwei Seiten: Kevin ist angeklagt, Sven als Opfer und Zeuge geladen.

Seit dem 12. April dieses Jahres, an dem die Tat geschehen war, ist einiges passiert. Wie gesagt: Die Gegner von damals sind heute Freunde. So gute offenbar, dass das Opfer vor Gericht eine etwas geschönte Version des Geschehens präsentiert, um dem Angeklagten zu helfen. Denn das, was der heute 26-jährige Sven im Zeugenstand erzählt, passt so gar nicht zu seiner Aussage bei der Polizei kurz nach dem Vorfall. Nachdem Richter Axel Bormann, der dem Schöffengericht am Amtsgericht Gardelegen vorsitzt und die Zeugenaussage wörtlich protokollieren lässt, ihn mehrfach auf die Widersprüche und mögliche Konsequenzen einer Falschaussage hingewiesen hat, knickt der 26-Jährige ein: "Na, gut, dann sage ich jetzt, wie es war." Weil der Angeklagte sich entschuldigt habe und "er mir irgendwie auch leid tut, wollte ich ihn aus der Sache rausholen", räumt der Zeuge ein.

Und so erzählt er, was sich am 12. April gegen 21 Uhr auf dem Gelände des Jugendförderungszentrums zugetragen hat. Der Angeklagte und ein weiterer Täter, gegen den gesondert verhandelt wird, wohnten dort in der Obdachlosenunterkunft. Der heute 27-jährige Angeklagte hatte sein späteres Opfer dorthin gebeten, weil beide noch etwas klären mussten. Es ging dabei um 20 Euro. Die sollte Sven T. dem Angeklagten zahlen, weil er das Guthaben von dessen Internetstick aufgebraucht hatte. Als Sven T. dort ankam, gab es ein kurzes Gespräch, danach wurde er von dem anderen Bewohner angegriffen, ihm wurden Schläge angedroht. Kevin B. soll laut Anklage die Herausgabe des Handys als Pfand für die ausstehenden 20 Euro gefordert und noch eine mobile Playstation an sich genommen haben.

Der Angeklagte belastet in seiner Aussage hingegen den zweiten Angreifer, der habe Sven schlagen wollen. Der habe auch die Sachen an sich genommen und sie an ihn übergeben, schildert Kevin B. seine Version. Er habe dabei unbeteiligt auf der Treppe gesessen, habe den anderen auch nicht aufgefordert, dem Opfer die Sachen abzunehmen. Er habe sie aber an sich genommen, "weil ich betrunken und dumm war", räumt der 27-Jährige aber ein.

Nachdem er als Zeuge zuerst die komplette Schuld dem zweiten Täter zugeschoben hatte, der ihn angegriffen und verbal mit Sätzen wie "Mit deinem Kopf wische ich den Boden auf" bedroht haben soll, und Kevin B. als eher unbeteiligt dargestellt hatte, entscheidet sich Sven T. dann doch nach mehrmaliger Ermahnung zur Wahrheit. "Der Angeklagte hat mir das Handy weggenommen." Richter Bormann: "Sie haben den Kopf noch aus der Schlinge gezogen, weil Sie die Wahrheit noch vor Ihrer Entlassung als Zeuge gesagt haben."

"Jetzt muss ein Schlussstrich gezogen werden."

Richter Axel Bormann

Der Angeklagte - nach einer Hirnhautentzündung gesundheitlich beeinträchtigt, in mehreren Heimen aufgewachsen und einen Betreuer an seiner Seite - war während der Tat alkoholisiert. Im Herbst des vergangenen Jahres war er wegen seiner damaligen Freundin aus dem Bundesland Brandenburg nach Gardelegen gekommen. Im Januar dieses Jahres war er dann in die Unterkunft für Obdachlose gezogen.

Am Ende der Beweisaufnahme steht für das Gericht fest: Der Angeklagte hat, mit einem anderen gemeinschaftlich handelnd, das Handy des Opfers erpresst und die Playstation geraubt. Die Staatsanwaltschaft fordert dafür eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten, zur Bewährung ausgesetzt für zwei Jahre. Mit Blick auf die Alkoholisierung und die Lebensgeschichte setzt der Anklagevertreter das Strafmaß an der unteren Grenze an. Das Gericht bleibt mit einem Jahr Freiheitsstrafe, ausgesetzt für drei Jahre zur Bewährung, etwas unter dem Antrag der Staatsanwaltschaft.

"Sie sind so ein bisschen der Leidtragende", wendet sich Richter Axel Bormann in der Urteilsbegründung an den Angeklagten. Aber auch mit der gesundheitlichen Einschränkung "hätte Ihnen klar sein müssen, dass man das nicht darf". Das Mindeststrafmaß von einem Jahr "ist ausreichend, um Sie zu beeindrucken", sagt der Richter und fügt hinzu: "Ich gehe davon aus, dass dies heute eine Lehre für Sie ist. Jetzt muss ein Schlussstrich zogen werden. Kümmern Sie sich um sich, kümmern Sie sich um eine Bude."(* Name geändert)