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Gerichtsprozess Zwei Gardeleger zündeten ihren Kumpel an

Sie haben einen Menschen schwer verletzt, das ergab die Beweisaufnahme
des Amtsgerichtes. Über das Strafmaß für die beiden Männer muss nun
allerdings das Landgericht entscheiden, denn es geht nicht mehr um
Körperverletzung, sondern den Verdacht des versuchten Totschlages.

Von Gesine Biermann 28.11.2014, 02:07

Gardelegen l Die Schmerzen, die er hatte, kann kaum jemand ermessen: Etwa 20 Prozent seiner Haut sind verbrannt. Mittlerweile ist sie trotz einer Hauttransplantation extrem vernarbt. Vor wenigen Tagen sitzt der Mann, dem diese schweren Brandverletzungen zugefügt wurden, als Zeuge im Gardeleger Amtsgericht. "Es geht schon besser", bestätigt er Strafrichter Axel Bormann. Aber immer noch sei er in ärztlicher Behandlung. "Arbeiten kann ich noch nicht".

"Ich weiß nicht, wer da wann, wo hingehauen hat." -
Opfer Nick T.*

Zudem fällt es dem 31 -jährigen Nick T.* schwer, sich an die Tatabläufe zu erinnern. Denn wie auch seine beiden mutmaßlichen Peiniger, war auch der Geschädigte an jenem Abend des 26. Juni dieses Jahres nicht nüchtern.

Getrunken hatte der 31-Jährige an diesem Tag schon Morgens, das gibt er unumwunden zu. Ein paar Biere im Garten eines Kumpels, dann holt er Nachschub in einem Markt und fährt zum nächsten Bekannten, von dem aus er schließlich nach Hause, in diesem Fall in sein Zimmer im Gardeleger Jugendförderungszentrum aufbricht. Da ist es dunkel. So viel weiß der Geschädigte sicher. Und er weiß auch noch, dass ihm kurz vor dem Bahnhofstunnel auf der Seite des Buschhorstweges, an diesem Abend seine beiden Bekannten entgegenkommen, bevor das Unheil seinen Lauf nimmt.

Das allerdings kommt für den Gardeleger völlig überraschend. Denn eigentlich ist einer sogar sein Kumpel. Den 21-jährigen Patrick A.* kennt er nämlich schon seit vielen Jahren. Den 31-jährigen Mario P.* hat der Geschädigte zwar erst kürzlich kennengelernt - beide haben ein Zimmer im JFZ. Beide sind mehrfach einschlägig vorbestraft. Nick T. hat aber schon "öfter mit ihm gefeiert". Er ist also arglos als er ihnen in die Arme läuft.

"Die Flammen auf meiner Jacke habe ich ausgekloppt." -
Opfer Nick T.*

Von Freundschaft kann an diesem Abend indes keine Rede sein. "Wer angefangen hat, kann ich nicht sagen", auch wisse er nicht, "wer da wo, wann hingehauen hat", sagt Nick T. aus. Die Schläge seien von allen beiden gekommen. "Ich bin hingefallen", beide hätten auf ihn eingetreten und dann habe er gespürt, dass sein Arm heiß wird. Die Flammen auf seiner Jacke "habe ich dann ausgekloppt".

Möglicherweise habe ihm auch einer geholfen und ihm die Jacke ausgezogen, beantwortet er eine Frage des Richters. Dann aber habe man ihn ein zweites Mal angezündet. Auch diese Flammen habe er aber zum Glück selbst löschen können, da seien die beiden schon weg gewesen, genau wie sein Rucksack mit Brieftasche und Handy. Beides soll später nochmal zur Sprache kommen.

"Vielleicht finden Sie zwischen Hundescheiße und Gras das Handy." - Richter Axel Bormann

Zuvor hört sich Bormann die Aussagen der Angeklagten an, die allerdings recht unterschiedlich ausfallen. Während sich Patrick A. auf die Fragen des Richters einlässt, sich sogar beim Opfer entschuldigt, lässt Mario P. von seinem Anwalt Norbert Zepig nur eine Erklärung verlesen. A. beschreibt das Anzünden als Tat seines Mittäters, bei der er nur zugesehen habe - "Und es hat schon ein Weilchen gedauert, bis er brannte". Er gibt aber die Schläge zu und auch, angefangen zu haben. P. will sich weder an Tritten noch Schlägen noch am Anzünden beteiligt haben.

Beide behaupten allerdings übereinstimmend, schon vor der Tat mit dem späteren Opfer gemeinsam getrunken zu haben. Und zwar vor dem Bahnhof und nicht auf der gegenüberliegenden Seite.

Diesen Umstand können indes weder die Polizei, noch ein Sachverständiger aufklären. Die Blutspuren, die die Beamten am Tag nach der Tat im Tunnel und vor dem Bahnhof sichern, können weder dem Geschädigten, noch einem der mutmaßlichen Täter zugeordnet werden, wie Spezialist Oliver Schottmann vom Landeskriminalamt mitteilt. Der vom Opfer beschriebene Tatort war zudem überhaupt nicht abgesucht worden. Offensichtlich hatte es Übermittlungsprobleme im Revierkommissariat Gardelegen gegeben.

Richter Axel Bormann ist der Ärger darüber recht deutlich anzusehen: "Sie sollten sich dort noch mal umsehen", fordert er einen der Beamten auf, der als Zeuge aussagt, "vielleicht finden Sie ja dort zwischen Hundescheiße und Gras im Gebüsch auch noch das vermisste Handy und das Portemonnaie".

Kritik an der Ermittlungsarbeit gibt`s aber auch noch von anderer Seite. "Warum hat uns denn zur Untersuchung des Opfers keiner hinzugezogen?", will zum Beispiel Gerichtsmediziner Dr. Werner Kuchheuser wissen, nachdem sich Richter Bormann zuvor mit den mehr schlechten als rechten Deutschkenntnissen der beiden Ärzte in der Notaufnahme des Gardeleger Klinikums herumgeärgert hatte.

"Mich hätte mal interessiert, ob Brandbeschleuniger verwendet wurde."
- Richter Axel Bormann

Strafverteidiger Norbert Zepig ist seinerseits ärgerlich darüber, dass die beschlagnahmte mögliche Tatwaffe, das Zippo-Feuerzeug seines Mandanten Mario P. nicht überprüft wurde. Und selbst die verbrannte Kleidung des Opfers hatte sich niemand angesehen. "Mich hätte ja mal interessiert, ob Brandbeschleuniger verwendet wurde", so Bormann kopfschüttelnd.

Darüber muss sich nun aber sein Kollege im Landgericht Gedanken machen. Mit Zustimmung von Staatsanwältin Claudia Rhode leitet Bormann das Verfahren nämlich an die höhere Instanz weiter. Beide Täter hatten offenbar Morddrohungen gegen das Opfer ausgesprochen. Für ihn stehe der Verdacht auf versuchten Totschlag im Raum, so Bormann.

* Namen von der Reaktion verändert