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Lena Mothes schilderte im Zuge eines Schulprojektes in Kalbe ihre Erfahrungen mit Bulimie "Böses Männchen auf der Schulter"

Sie ist eine schöne Frau mit selbstbewusstem Auftreten. Niemand würde
spontan vermuten, dass sich Lena Mothes einst so hässlich und so
unbedeutend fand, dass sie begann, sich den Finger in den Hals zu
stecken. Von ihren Erfahrungen mit der Bulimie berichtete sie gestern im
Zuge eines Kalbenser Schulprojekts.

Von Conny Kaiser 28.11.2014, 01:09

Kalbe l "Eine Essstörung hat man für sein ganzes Leben", sagt Lena Mothes. Die zweifache Mutter aus Darlingerode im Landkreis Harz leidet an Bulimie. Auch wenn sie seit mehreren Jahren "clean" sei, wie sie sagt, würde sie sich nicht als geheilt betrachten. "Ein böses Männchen sitzt nach wie vor auf meiner Schulter" und rate dazu, sich doch den Finger in den Hals zu stecken und auf diese Weise Druck abzubauen. Wichtig sei, dass das gute Männchen auf der anderen Schulter dagegen halte und standhaft bleibe, erklärt die junge Frau ihren Zuhörern.

Die gehören den beiden achten Klassen der Kalbenser Sekundarschule an und lauschen gebannt, was Lena Mothes ihnen zu berichten hat. Die 32-Jährige liest aus ihrem autobiografischen Buch vor, das sie "Zerzweifeltes Leben" genannt, für das sie aber bislang noch keinen Verlag gefunden hat. Und das, obwohl ihre Worte fesseln. Als sie liest, herrscht absolute Stille in der kleinen Schulbibliothek. Den Schülern, die da im Kreis um die junge Frau herum sitzen, ist Betroffenheit anzumerken.

Anschließend will Lena Mothes von ihnen wissen, ob sie selbst Situationen kennen, in denen sie großen Druck verspüren und in denen sie total unzufrieden mit sich sind. Dass Außenstehende dabei eine nicht ganz unwesentliche Rolle spielen, wird ganz schnell klar. Deshalb bittet Lena Mothes die Jugendlichen vor allem um eins: "Den respektvollen Umgang miteinander" und den Mut, sich im Fall eines Falles an eine Vertrauensperson zu wenden und nicht alles in sich hineinzufressen. Denn dass das dann irgendwie alles wieder hinaus will, zum Beispiel mit dem Kopf über der Toilette, zeige ihr eigenes Beispiel.

An die Kalbenser Sekundarschule ist Lena Mothes gekommen, weil Deutschlehrerin Cornelia Appelmann sie eingeladen hat.

"Tiefgreifende Versagensängste und Mangel an Selbstbewusstsein."
- Lena Mothes über die Ursachen ihrer Bulimie-Erkrankung

Die beiden Frauen hatten sich vor einigen Jahren bei einer Fortbildung kennengelernt. Appelmann wiederum betreut gemeinsam mit einigen Kollegen ein aktuelles Projekt der achten Klassen, das unter der Überschrift "Gesunde Ernährung" stattfindet und das neben dem Deutsch- auch den Biologie-, den Ethik-, den Hauswirtschafts- und den Kunstunterricht tangiert. Zu dem zweitägigen Projekt gehört es unter anderem, unter dem Motto "Vom Schönheitsideal zum Schönheitswahn" ein Titelbild für ein Arbeitsheft zu gestalten, in dem die Schüler auch Ergebnisse einer Selbstreflektion niederschreiben sollen.

Diese Selbstreflektion hat Lena Mothes dabei geholfen, mit ihrer Krankheit umgehen zu können. Und es ist ihr inzwischen eine Herzensangelegenheit, mit Jugendlichen darüber zu sprechen und sie vielleicht auf diese Weise vor jenem Schicksal, dass sie selbst einst ereilt hat, zu bewahren. Denn obwohl sie selbst nie Mobbing-Opfer gewesen und auch "nicht mit Hässlichkeit gestraft" sei und obwohl sie stets gute schulische Leistungen gezeigt habe, sei sie im Alter von 16 Jahren in die Bulimie hineingeraten. Als Ursache habe sie für sich "ständige, tiefgreifende Versagensängste und einen Mangel an Selbstbewusstsein" ausgemacht. Die Bulimie sei ihr Ventil gewesen, den dadurch entstehenden Druck auszugleichen.