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Tagespflege in Gardelegen Wenn Opa in die Tagesgruppe geht

Müssen ältere Menschen eigentlich immer ihre vertraute Umgebung aufgeben, wenn sie nicht mehr alles allein schaffen können? Oder gibt es Alternativen zur Heimbetreuung? Die Volksstimme schaute sich einmal danach um. Heraus kam eine ungewöhnliche Mittagsstunde in einer ganz besonderen Senioren-WG:

Von Gesine Biermann 22.04.2015, 03:16

Gardelegen l Schon draußen auf dem Korridor hört man lautes Lachen. Irgendwer muss einen Witz erzählt haben. Als sich kurz danach die Tür zur gemütlichen Küche öffnet, saust gerade eine junge Frau mit einer Eierlikörflasche um den großen Tisch herum: "Wollen Sie auch einen?", fragt sie, "wir stoßen heute mal an." Nur so. Ostern sei schließlich gerade erst vorbei, da passe der Eierlikör doch prima. Offenbar ist man hier in Feierlaune.

"Fröhlich geht`s hier aber eigentlich immer zu bei uns", versichert die gut gelaunte Likörausschenkerin. Und sie muss es wissen. Schließlich arbeitet Candy Dömland schon länger hier in der Tagespflege für Senioren. Seit einem Jahr ungefähr gibt es die Einrichtung, für die Chefin Karola Kuke extra die ganze untere Etage des frisch sanierten Stadthauses an der Bahnhofstraße 31 angemietet hat. Seitdem treffen sich dort alltags viele ältere Menschen. "Manche kommen nur an einem Tag in der Woche, manche täglich", erklärt Candy Dömland.

"Wir werden mal eine Tücherchoregrafie mit allen einstudieren."

Ariane Herms, Betreuungsmitarbeiterin

An diesem Tag sind die "Mittwochsleute" da. Eine muntere Truppe von elf Senioren, die sich richtig mögen, wie unschwer zu erkennen ist. Morgens so gegen neun kommen alle an - Abholen und Zurückbringen gehört dabei übrigens zum Service für die, die es zu Fuß nicht schaffen. Dann wird geplaudert, gemeinsam gesungen. Wer mag, hilft beim Kochen, es gibt nämlich immer Hausmannskost. Und es gibt immer wieder mal was besonderes. Demnächst hat Betreuungsmitarbeiterin Ariane Herms was schickes geplant: "Wir werden mal eine Tücherchoregrafie mit allen einstudieren", verspricht sie. Das sei gut für den Bewegungsapparat und für die grauen Zellen. Bei schönem Wetter geht es auch mal auf die Terrasse in die Sonne oder in den Garten. Bei schlechtem Wetter werden Rätsel gelöst, wer mag und noch gut gucken kann, schaut in die Zeitung oder bekommt etwas vorgelesen, und manchmal wird auch Mensch-ärgere-Dich-nicht oder Rommee gespielt.

Apropos Rommee: Dabei stecke Margarethe Schulze alle anderen in den symbolischen Sack, versichert Candy Dömland schmunzelnd. 95 Jahre alt ist die ehemalige Lohnbuchhalterin bereits und damit die Älteste in der Runde, aber beim Kartenspielen macht ihr keiner was vor. Dabei wollte sie eigentlich zu Anfang gar nicht so gerne in die Tagespflege gehen, erzählt die Chefin Karola Kuke, die mittlerweile dazugekommen ist, mit einem Augenzwinkern. Und, mag sie es jetzt? "Sonst würde ich ja nicht kommen", sagt Margarethe Schulze würdevoll. Und wer will ihr da widersprechen?

Dass es auch allen anderen gut gefällt, ist offensichtlich. "Ja, wenn wir den Mittwoch nicht hätten", sagt zum Beispiel Christa Walde. Sie hat viele Jahre als Verkäuferin gearbeitet. "Bei Käsewalter", sagt sie stolz. Da hatte sie immer viele Menschen um sich. Nun ist sie in Rente und allein. Das wöchentliche Treffen tut ihr deshalb einfach gut: "Es gibt immer was zu erzählen. Wir erzählen uns zum Beispiel immer Witze, wenn die anderen Mittagsruhe halten", sagt Walde und stupst ihren Nachbarn Günter Kluge an. Der zwinkert zurück. Schließlich war er derjenige, der vor ein paar Minuten für jenes laute Gelächter gesorgt hat, das man schon vor der Tür hören konnte. In einer Illustrierten hatte der ehemalige Agraringenieur nämlich auf das Bild eines muskulösen, braungebrannten Männermodels getippt und die Damen in der Runde gefragt: "Woher haben die denn das Foto von mir?" Und so was sorgt natürlich für viel Spaß. Einen ganzen Packen Witze, die er aus der Zeitung ausgeschnitten hat, hat Kluge auch an diesem Morgen dabei. Genug Stoff also für die Witzerunde während der Mittagsruhe.

"Die Mittagsruhe ist natürlich nur ein Angebot, wie vieles andere auch!"

Chefin Karola Kuke

Apropos Mittagsruhe: "Die ist natürlich nur ein Angebot, wie vieles andere auch", erläutert Kuke. Es gibt zwei gemütliche Räume mit etlichen Sesseln, die sich elektrisch in eine Liegeposition bringen lassen. Wer also nach dem Essen ein bisschen schlummern möchte, kann dies ungestört tun.

Vor der Mittagsruhe muss es aber natürlich erstmal Mittag geben. Und das kündigt sich bereits mit leckeren Düften an: Während am großen Küchentisch weitergeplaudert wird, hat Anette Thomas am Herd schon gut zu tun. Sie ist hier angestellt und bereitet das Essen für alle zu. Eric Berg, der hier gerade ein Praktikum während seiner Ausbildung zum Sozialassistenten macht, hilft ihr dabei. Heute gibt es Schnitzel mit Blumenkohl, Kartoffeln und Salat.

Jeweils zwei Mahlzeiten, Mittagessen und entweder Frühstück oder ein Imbiss zur Kaffeezeit, sind im Preis der Betreuung mit enthalten. Teuer ist das Ganze übrigens nicht, versichert Kuke: "Seit Anfang Januar wird die Tagespflege von den Kassen so gut unterstützt, dass nur ganz wenig zuzuzahlen ist", sagt sie. Für die Angehörigen, die ihre Eltern oder Partner gern zu Hause betreuen möchten, ist das Angebot deshalb eine echte Hilfe.

Viele der Senioren, die hierherkommen, haben eine Pflegestufe, können also nicht mehr den kompletten Alltag selbst bewältigen. Durch die Versorgung in der Woche können die Familienangehörigen so Arbeit und Pflege aber gut unter einen Hut bekommen. Alltags werden Mutter oder Vater oder auch ein pflegebedürftiger Partner gut betreut, die Abende, die Wochenenden oder die Feiertage können dann alle zusammen verbringen.

"Ich bin immer wieder erstaunt, wie liebevoll alle untereinander sind."

Karola Kuke

Die Runde der "Mittwochsleute" gehört allerdings zu jenen, die vieles noch ganz allein schaffen. Hier geht es eher um das Gemeinschaftsgefühl. Der wöchentliche Tag, die Gespräche untereinander sind für alle ein fester Teil ihres Lebens geworden. "Ich bin immer wieder erstaunt, wie liebevoll hier alle auch untereinander sind", sagt Karola Kuke. Jeder habe irgendwelche Einschränkungen, "aber darauf nehmen alle anderen Rücksicht. Sogar Freundschaften sind hier schon entstanden. Und dabei komme es auch gar nicht darauf an, wer oder was jemand vorher war. Da plaudert zum Beispiel die ehemalige Buchhalterin Edith Bauermeister genau so gern mit dem einstigen Bäcker und Fernmeldemonteur Erwin Fricke, wie mit Hildegard Schreiber, die früher einmal im Kinderheim Polvitz gearbeitet hat. Beide kennen nämlich "Gott und die Welt", versichert Karola Kuke lachend, und sie erzählen auch zu gern Anekdoten von früher.

Gisela Haberland, die früher in einem Kindergarten als Reinigungskraft gearbeitet hat, ist dagegen eher so eine Stille. Sie hört lieber zu, wenn geplaudert wird. Dafür kann sie aber wunderschön singen und bringt dann auch die anderen dazu, einzustimmen. "Wo singt man sonst noch gemeinsam, wenn man älter ist und allein?", fragt Karola Kuke.

Sie hat sich derweil neben Erna Hasche gesetzt und erzählt ein bisschen mit der ehemaligen Gardeleger Erzieherin. Auch sie versucht, sich mittendrin mal ein paar Minuten Zeit für die Senioren in der Tagespflege zu nehmen - immerhin betreut das Unternehmen, das kürzlich sein 20-jähriges Jubiläum feierte, auch mobil viele Pflegebedürftige. Doch zwischendurch kommt eben auch die Chefin selbst gern mal in die Küche.

Mittendrin nimmt Erna Hasche plötzlich Karola Kukes Hände und wärmt sie zwischen ihren schmalen Fingern. Eine berührende Geste, die deutlich macht, wie gern die alten Menschen all jene haben, die sich liebevoll um sie kümmern und sich Zeit für sie nehmen.

Informationen zum Thema Tagespflege gibt es bei allen Krankenkassen oder Pflegediensten.