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Eineiige depressive Brüder aus Perleberg wussten nicht mehr, wie sie in die Altmark gefahren waren Betrunkene Zwillinge landen in Jävenitz

05.05.2015, 01:21

Wegen vorsätzlichen Vollrausches wurde ein 37-Jähriger verurteilt, der betrunken auf der Bundesstraße 188 nach Jävenitz gefahren war. Gegen seinen Zwillingsbruder stellte der Amtsrichter das Verfahren ein.

Von Gesine Biermann

Gardelegen l Da musste sich wohl selbst der Polizeibeamte die Augen reiben: In einem BMW saßen an diesem Freitagvormittag im Oktober 2014 doch tatsächlich zwei gleich aussehende junge Herren auf Fahrer- und Beifahrersitz und waren auch noch beide total betrunken. Doch trotz des überwältigenden Alkoholdunstes, der aus dem Wagen strömte: Der Beamte sah nicht doppelt. Denn die jungen Männer vor ihm waren eineiige Zwillingsbrüder, die nach einem Ausflug in Jävenitz gestrandet waren. Wie sie dahin kamen, wissen beide nicht mehr.

Vor wenigen Tagen mussten sie nun allerdings noch einmal in die Altmark kommen. Und zwar ins Gardeleger Amtsgericht zu ihrer Gerichtsverhandlung wegen fahrlässiger Trunkenheit und Fahrens ohne Fahrerlaubnis.

Wer sie an diesem Tag da so nebeneinander auf der Anklagebank sitzen sieht, kann sich indes nicht vorstellen, dass die beiden 37-Jährigen an dem Tattag tatsächlich so betrunken waren, dass sie kaum ansprechbar waren. Beide machen einen gepflegten Eindruck, eloquent und mit angenehmer Stimme geben sie bereitwillig zu ihrer Vita Auskunft. Beide haben einen guten Schulabschluss und anschließend erfolgreich eine dreieinhalbjährige Ausbildung zum Kfz-Mechaniker abgeschlossen.

"Wir wollten uns mal wieder die Seele freireden."

Michael B.

Wann genau beider Lebensweg begann, schief zu laufen, kommt dabei noch nicht zur Sprache. Dass es passierte, ist indes unbestritten: Beide Männer sind bereits mehrfach vorbestraft. Verkehrsdelikte, meist in Verbindung mit Alkohol, stehen da - neben Beleidigung und anderen Straftaten.

Einschneidend wirkt sich mit Sicherheit für David B.*, einen der Zwillinge, eine Trunkenheitsfahrt im Jahr 2003 aus. Da nämlich wird durch seine Schuld eine 44-jährige Mutter getötet. Ein Jahr und vier Monate muss er dafür ins Gefängnis. Doch auch sein Bruder Michael* hat schon Gefängniserfahrung. Zum Zeitpunkt der jüngsten Tat stand er sogar noch unter Bewährung.

Wie es dazu kam, dass sich die beiden Brüder an jenem Tag morgens völlig betrunken ins Auto setzten und so viele Kilometer fuhren, wissen beide nicht mehr.

Sicher ist: Am Vorabend hatten sie sich in der Wohnung von Michael B. getroffen. Seit einiger Zeit wohnt der in Wittenberge, wo er in einer Kfz-Werkstatt als Servicetechniker angestellt ist. So oft sehen sich die Brüder in der jüngster Zeit nicht mehr. Bruder David macht nämlich eine Umschulung zum Informationstechniker in Köln. Beide kommen zwar beruflich gut klar, fühlen sich indes in ihrem Privatleben allein und einsam, haben kaum soziale Kontakte. David muss sogar starke Medikamente gegen seine Depressionen nehmen. Auch Michael ist aktuell in ärztlicher Behandlung. Zudem besucht er regelmäßig eine Gruppe der anonymen Alkoholiker. Wie sein Bruder bezeichnet er sich selbst als Alkoholiker. Bis zu dem Tag im Oktober sei er allerdings eine lange Zeit trocken gewesen, beteuert er.

Dann aber kommt David zu Besuch. "Wir wollten uns mal wieder die Seele freireden." Ein Fernsehabend ist geplant. Beide gehen in einen Markt, um sich Knabberzeug zu besorgen. Dabei wandert auch eine Flasche Wodka in Davids Einkaufskorb. Zu dem Zeitpunkt sei er aber noch davon überzeugt gewesen, dass er nichts trinken werde, gibt Michael an.

Dass er diesen Vorsatz irgendwann über Bord geworfen haben muss, steht jedoch fest. Denn irgendwann im Laufe des kommenden Vormittages setzt sich der 37-jährige David sturzbetrunken in das Auto seines Bruders, obwohl er gar keinen Führerschein hat. Der Bruder hat zwar einen, ist aber offensichtlich noch betrunkener. Und so düsen die beiden los, ins Blaue. Eigentlich, so erinnert sich David schwach, habe man sich nur was zu essen besorgen wollen. "Irgendwo auf der Elbbrücke hab ich mich noch gewundert, wo wir waren", gibt Michael an. Der Rest sei verschwommen.

"Ein goldener BMW hat uns überholt - in Schlangenlinien."

Zeuge

Dass sie ihre Fahrt schließlich im altmärkischen Jävenitz, also rund 70 Kilometer von ihrem Abfahrtsort entfernt, beenden müssen, liegt an einem couragierten Pärchen, das an diesem Morgen ebenfalls auf der B188 unterwegs ist. "Da hat uns plötzlich ein goldener BMW überholt", erinnert sich der Zeuge, "und zwar in Schlangenlinien". Als sie das Auto später in Jävenitz an der Straße stehen sehen, halten sie an. Er sei dann hingegangen, und habe den offenbar komplett desorientierten Fahrer angesprochen. Später werden bei ihm 2,53 Promille Alkohol im Blut ermittelt. Der Zeuge fackelt nicht lange und ruft die Polizei. Bis diese eintrifft, hält er den Fahrer ("Der Beifahrer hat geschlafen.") vom Weiterfahren ab.

Weil er sich offenbar überhaupt nicht mehr daran erinnern kann, wie er ins Auto kam - am nächsten Tag kam David B. übrigens erst auf der Intensivstation im Gardeleger Klinikum wieder zu sich - aber schließlich auch nicht selbst am Steuer saß, stellt Strafrichter Axel Bormann das Verfahren gegen David B. ohne Auflagen ein.

Bevor er das Urteil für seinen Bruder Michael fällt, bekommt der noch eine letzte Chance. Wenige Tage später darf er im Amtsgericht die Beweise dafür vorlegen, dass er tatsächlich regelmäßig zu den anonymen Alkoholikern geht, bei einem Psychologen in Behandlung ist und dass er einen Arbeitsvertrag hat.

Aufgrund der doch recht ordentlichen Sozialprognose verurteilt Bormann den 37-jährigen Michael B. wegen vorsätzlichen Vollrausches zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, die er trotz der zahlreichen Vorstrafen zur Bewährung aussetzt, dazu muss er eine Geldauflage an eine soziale Einrichtung zahlen. Voraussetzung dafür, dass er nicht ins Gefängnis gehen muss, ist zudem, dass er seine Entzugstherapie fortsetzt.

* Namen geändert