Letzter Arbeitstag Hausarzt geht in Rente

In Kalbe geht eine Ära zu Ende. Hausarzt Dr. Helmut Bender geht mit 77
Jahren offiziell in Rente - aber nicht, ohne heute noch einmal seine
Patienten zu behandeln. Das Stethoskop wird erst am Abend an den Nagel
gehangen. Dann aber für immer.

Von Conny Kaiser 30.06.2015, 01:05

Kalbe l "Er konnte nie Nein sagen." Kaum hat Dr. Gerlinde Bender den Satz ausgesprochen, klingelt es an der Tür. Ein Patient möchte ihren Mann Helmut sprechen. Dabei hat der Hausarzt gar keinen Dienst.

Aber im Dienst war er eigentlich immer. Bisher jedenfalls. Doch damit soll nun Schluss sein. Denn wenn der Mann, der mit 77 Jahren einer der ältesten Hausärzte in Sachsen-Anhalt ist, heute seine Praxis an der Kalbenser Feldstraße öffnet, dann wirklich zum letzten Mal. "Die Kassenzulassung habe ich abgegeben. Das heißt: Ich darf zum 1. Juli kein Rezept mehr ausstellen", macht der Mediziner klar. Und irgendwie scheint ihm das selbst ein wenig unwirklich vorzukommen.

Arbeitszeit wegen Ärztemangels verlängert

Denn sein Leben bestand bislang stets aus Arbeit. Nicht selten musste seine Frau, die ihre gynäkologische Praxis bereits im Jahr 2002 aufgegeben hatte, in der Vergangenheit auf ihn verzichten. "Dabei hatte eigentlich auch ich vor, mit 68 Jahren aufzuhören", sagt ihr Mann. "Aber dann starb in Kalbe unvorhersehbar ein Kollege. Damit es mit der Hausarztsituation nicht zu brenzlig wird, habe ich erst einmal weitergemacht." Dann, so Bender, habe sich ja abgezeichnet, dass sich der Kalbenser Daniel Graf zum Allgemeinmediziner ausbilden lassen und wahrscheinlich wieder in seine Heimat zurückkehren werde. "Und da habe ich gesagt: Bis er kommt, halte ich durch. Ich habe damals wirklich versorgungspolitisch gedacht", so Bender. Und jeder, der ihn kennt, weiß, dass dieser Mann ein sehr ausgeprägtes Pflichtgefühl hat.

Inzwischen, so sagt er, sei das Gros seiner Patienten ja auch an die Praxis des jungen Kollegen übergeben worden. Denn dieser hat sich wie abgesprochen zum 1. April in Kalbe niedergelassen. Das heißt, Helmut Bender kann heute Abend also ruhigen Gewissens sein Stethoskop an den Nagel hängen. Einen weißen Kittel hatte er ohnehin als Hausarzt nie an.

Büroarbeit selbst erledigt

Den musste er lange genug tragen, zum Beispiel, wenn er als Kreishygienearzt ganze Kindergärten und Schulen durchimpfte. Von 1963 bis 1990 war der Facharzt nämlich in dieser Funktion tätig. Nach einer zweijährigen Tätigkeit als Gesundheitsdezernent des damaligen Kreises Gardelegen ließ sich der gebürtige Thüringer dann 1993 als praktischer Arzt in Kalbe nieder und 1994/95 einen Anbau an seinem Wohnhaus schaffen. Denn da war bereits klar, dass er als Hausarzt gebraucht wird. "Angefangen hatte ich nämlich mit Patientenzahlen, von denen keine Schwester zu bezahlen gewesen wäre", so Bender. Dass mit den Patientenzahlen hat sich im Laufe der Jahre enorm geändert. Auf eine Praxisassistenz hat der Mediziner jedoch weiterhin verzichtet, alles selbst gemacht - und sich nicht selten über die ausufernde Bürokratie geärgert, der Niedergelassene heutzutage ausgesetzt sind.

Doch mit dieser Art von Ärger ist nun Schluss. Und politisch steht da eigentlich auch nichts mehr zu befürchten, seit Helmut Bender im April 2013 sein Amt als Ortsbürgermeister von Kalbe niedergelegt hat. 23 Jahre lang hatte er zuvor an der Spitze der Kleinstadt gestanden. Aktuell ist er, der sich zeitlebens politisch engagiert hat, "nur" Stadtrat. Doch welches Vertrauen er nach wie vor beim Bürger genießt, zeigt die Tatsache, dass der CDU-Mann bei der Wahl im Mai 2014 mit Abstand die meisten Stimmen aller Kandidaten geholt hatte. Und künftig besteht dann auch nicht mehr die Gefahr, dass er wegen eines Notfalls eine Sitzung früher verlassen muss.

Freude auf mehr Freizeit

Doch was fängt Helmut Bender ab morgen mit seinem Mehr an Freizeit an? Nun, sagt er, da gebe es ja Haus und Garten. Der Hund warte darauf, häufiger von ihm gassi geführt zu werden. Und auch die Enkel - zwei davon leben in Solingen - wollen besucht werden. Und dann gibt es da ja auch noch den großen Flügel im Wohnzimmer der Benders. Er wurde in den vergangenen Jahren viel zu selten vom Hausherrn gespielt. "Ich freue mich darauf", sagt dieser, "wieder mehr Musik zu machen."