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Technische Schwierigkeiten - Umsatz deutlich niedriger als erwartet / Verwalter sieht Zukunftsaussichten positiv Agenda Glas AG beantragt Insolvenz

Von Jörg Marten 22.02.2011, 10:18

Die Agenda Glas AG hat am Dienstag Insolvenz angemeldet. Der Geschäftsbetrieb geht derzeit unvermindert weiter. Der vorläufige Insolvenzverwalter Dr. Lucas F. Flöther (Magdeburg) geht davon aus, dass das Unternehmen auf jeden Fall fortgeführt wird.

Gardelegen. Die Lage war seit Monaten angespannt, immer wieder hatte es Verhandungen der Agenda Glas AG mit den Banken und mit dem Land gegeben - letztlich erfolglos. Am Dienstagvormittag meldete die Agenda Glas AG beim Stendaler Amtsgericht Insolvenz an. Um 11.30 Uhr wurde Dr. Lucas F. Flöther zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt.

"Bis Ende April wird es überhaupt keine Veränderung geben. Wir brauchen jeden Arbeitnehmer"

Die Agenda Glas AG war 2008 gegründet worden, im September 2009 erfolgte trotz massiven Reaktionen der europäischen Konkurrenz und nach mühseligen, letztlich aber erfolgreichen Finanzierungsgesprächen die Grundsteinlegung für das moderne Behälterglaswerk in Gardelegen. Im Februar 2010 war bereits Produktionsstart. Die Investitionssumme für die von Land und EU geförderte Ansiedlung betrug knapp 50 Millionen Euro. Die Agenda Glas AG hatte Fördermittel in Höhe von 10,244 Mio. Euro erhalten. 150 Mitarbeiter arbeiten derzeit im Werk, das sich als erster und bisher einziger Industriebetrieb im Industriegebiet Ost II angesiedelt hat.

Doch die Begeisterung über das neue Werk, die faszinierende Technik und das für Gardelegen völlig neue Segment wich intern bald der Ernüchterung: Die Auftragsbücher waren zwar voll, langfristige Lieferverträge unterschrieben - doch das Unternehmen konnte wegen erheblicher technischer Anlaufschwierigkeiten nicht so günstig produzieren, wie es geplant war. Unter anderem warf eine zwischenzeitliche Grünglasproduktion das Werk weit zurück - die Charge brachte außer erheblichem Zeitverlust und massiven Produktionsausfällen nichts ein. Flöther sprach gestern von einem "Riesenaufwand, aus der Grünglasproduktion wieder Weißglasproduktion zu machen."

Die Folge: Das Werk brauchte dringend einen Liquiditätskredit. Im Herbst 2010 schockierte der Wasserverband Gardelegen das Unternehmen mit einer Forderung von rund 1,5 Millionen Euro für das rund 17 Hektar große Grundstück, die das Werk als Baubeitrag zahlen sollte - eine Forderung, mit der die AG nicht gerechnet hatte, weil die entsprechende Verbandssatzung dies zur Zeit der Ansiedlung nicht vorgesehen hatte. Auf einen Erlass der Forderungen ließ sich die Verbandsversammlung nicht ein, genehmigte aber schließlich eine Stundung.

Die Liquiditätsprobleme aufgrund der technischen Probleme blieben. Um rund 10 Millionen Euro sei das Werk 2010 hinter der Umsatzerwartung zurückgeblieben, bestätigte Flöther gestern - eine Zahl, die erst anschaulich wird, wenn Flöther die Umsatzerwartung für 2011 nennt: 20 Millionen Euro. Vorstandsmitglied Josef Bockhorst hatte beim Produktionsstart von 25 Millionen Euro Jahresumsatz für 2010 gesprochen. 2011 sollte ein Umsatz von 30 Millionen Euro anvisiert werden, hatte er damals gesagt.

Immer wieder gab es Gespräche mit dem Wirtschaftsministerium und den Banken. Die Norddeutsche Landesbank, die auch Landesbank für Sachsen-Anhalt ist, ist der größte Kreditgeber der Agenda Glas AG. Als regionaler Partner beteiligte sich die Sparkasse Altmark/West mit mehreren Millionen Euro an der Finanzierung. Eingebunden durch Beteiligungen oder absichernde Bürgschaften sind die IBG Innovations- und Beteiligungsgesellschaft des Landes, die Mittelständische Beteiligungsgesellschaft (MBG) und die Investitionsbank (IB).

Die IBG ist auch Gesellschafter der Agenda Glas AG neben den beiden Agenda-Vorstandsmitgliedern Josef Bockhorst und Wolfram Seidensticker sowie der zum Jahresende 2010 aus dem Vorstand ausgeschiedenen Maria Elisabeth Ostermann-Müller.

Das Land habe "alles getan, was es tun konnte", hieß es gestern aus der Pressestelle des Wirtschaftsministeriums. Doch die Banken wollten wohl nicht mehr. Schon am Dienstagnachmittag, wenige Stunden, nachdem er als vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt worden war, führte Flöther erste Gespräche mit der Nord LB, dem Hauptkreditgeber, "um eine gemeinsame Lösung zu erarbeiten".

"Wir sitzen auf dem modernsten Glaswerk Europas. Das kann man nicht wegtragen"

Die Lage war wohl schon sehr eng. Der Energieversorger habe gedroht, die Strom- und Gasversorgung einzustellen, sagte Flöther. Das wäre das Ende des Werkes gewesen: Die Schmelzpfanne, die 300 Tonnen Glas pro Tag produziert, muss rund um die Uhr befeuert werden. 23 Megawatt beträgt der tägliche Energieaufwand, um das Glas zu schmelzen.

Die Zukunftsausichten des Werkes schätze Flöther gestern positiv ein: Bis Ende April wird es "überhaupt keine Veränderung geben. Wir brauchen jeden Arbeitnehmer". Bis zu diesem Zeitpunkt sei wegen des Konkursausfallgeldes die Lohnzahlung ohnehin gesichert.

Schon im Mai erwartet Flöther aber eine Entscheidung, ob es eine Investorenlösung geben wird oder ob ein Insolvenzplan aufgestellt wird. Ziel sei in jedem Fall, das Unternehmen weiterzuführen.

"Wir haben hier eine außergewöhnliche Ausgangslage", sagte Flöther: "Wir sitzen auf dem modernsten Glaswerk Europas, wenn nicht gar weltweit. Das kann man nicht wegtragen."

Der vorläufige Insolvenzverwalter bestätigte, dass es bereits vor dem Insolvenzantrag Gespräche mit möglichen Käufern gegeben habe. Diese Kontakte würden nun wieder aufgenommen. Flöther: "Wir werden in den nächsten Wochen daran arbeiten, eventuell auch einen Verkaufsprozess einzuleiten." Es gebe Interessenten für die Agenda Glas AG. Er werde aber "nichts überstürzen. Bis zum 30. April haben wir keine Not. Ich denke, dass wir Anfang Mai Konkreteres sagen können".

Derzeit werde geprüft, ob das Werk inzwischen - unabhängig von den Schulden - wirtschaftlich arbeite. Die Vorstände der AG seien noch im Werk, und "gemeinsam mit den Vorständen läuft die Sanierung".

Noch nicht ganz klar sei indes, ob die Insolvenz in Form einer Planinsolvenz erfolge. Dabei würde die alte Geschäftsführung im Amt bleiben und in Abstimmung mit dem Insolvenzverwalter die Insolvenz regeln. Dieses Verfahren wird bei der AKT GmbH angewendet, die im Januar Insolvenz angemeldet hatte. Dadurch aber, dass die Agenda-Geschäftsführung den Insolvenzantrag so frühzeitig gestellt habe, seien "alle Optionen offen".

"Wir werden in den nächsten Wochen eventuell auch einen Verkaufsprozess einleiten"

Das Werk leide nicht unter mangelndem Absatz, betonte Flöther: "Wir könnten noch mehr produzieren, die Kunden rufen nach noch mehr Ware."

Die Agenda AG hat Teile ihrer Produktion auf dem eigenen Gelände gelagert, hat sogar externe Lagerkapazitäten angemietet. Weil die Umstellung auf unterschiedliche Produkte so lange dauere, die Kunden aber zeitgenau beliefert werden wollten, habe das Werk ein derart großes Lager angelegt, sagte Flöther.

Wenige Wochen vor der Landtagswahl kommt die Insolvenz eines der wirtschaftlichen Hoffnungsträgers in der Altmark - Agenda wurde 2009 mit dem Existenzgründerpreis ausgezeichnet - der Landesregierung und Wirtschaftsminister Reiner Haseloff (CDU) denkbar ungelegen.

"Wir haben unsere uneingeschränkte Unterstützung zugesagt", betonte gestern die Pressesprecherin des Ministerums, Petra Penning. Die Schwierigkeiten des Unternehmens hätten nichts mit der Marktlage zu tun. Penning: "Nach Lösung der technologischen Probleme unterstützt das Wirtschaftsministerium den Insolvenzverwalter bei der Entwicklung des Fortsetzungs- beziehungsweise Übernahmekonzeptes durch potentielle Investoren."

Dr. Flöther betonte gestern, die Forderung des Wasserverbandes sei "nicht primär" für die Insolvenz verantwortlich. Natürlich aber habe die Forderung des Verbandes die Schulden der AG weiter erhöht.