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Goetheschüler lernen die "Zauberworte" der Deeskalation: "Hör auf damit, ich will das nicht"

Von Gesine Biermann 24.03.2011, 05:30

Schubsen, rempeln, knuffen - Gewalt erleben Schüler auch schon in der Grundschule. Doch Kinder, die klug reagieren, können sich selbst schützen und sogar Konflikte vermeiden. Wie das funktioniert, zeigt ein Projekt der Unfallkasse Sachsen-Anhalt mit dem Verein "Gewaltfrei lernen" an der Gardeleger Goetheschule.

Gardelegen. Calvin hat Vanessa fest an der Schulter gepackt, schubst sie sogar ein bisschen vor sich her. Vanessa hebt beide Hände und sagt mit böser Stimme: "Stopp! Hör auf damit! Ich will das nicht." Dabei kneift sie wütend die Augen zusammen und guckt Calvin direkt ins Gesicht. Doch der denkt gar nicht daran, loszulassen. Und ihre Mitschüler stehen im Kreis um die beiden herum und sehen einfach zu, wie die Sache weitergeht.

Plötzlich dreht sich Vanessa wie ein Kreisel um sich selbst, geht dabei ein bisschen in die Hocke und schwupps, ist sie frei. Calvin kann ihr nichts mehr tun.

Doch der Drittklässler ist darüber kein bisschen erstaunt. Im Gegenteil, er lacht seine Mitschülerin sogar an. Denn was Vanessa und er hier gerade gezeigt haben, hatten alle Kinder ihrer Klasse zuvor bereits geübt. Eveline Schuller, Trainerin beim Verein "Gewaltfrei lernen" hatte den Jungs und Mädchen die "Schraube" beigebracht, mit der sie sich in einem solchen Fall befreien können. Und auch den "Bohrerblick", die "Bärenstimme" und die "Zauberworte", mit denen Vanessa ihren "Angreifer" zuvor abzuschütteln versuchte, hatte sie einen Vormittag lang mit den Schülern trainiert. "Damit warnt Ihr den anderen, gebt ihm die Chance, von selbst aufzuhören", erklärt die Kursleiterin den Kindern.

"Wer sein Gesicht wahren kann, lenkt vielleicht eher ein" als jemand, der noch provoziert werde, versichert auch Frank Bergman. Der Sportlehrer der Schüler hatte den Kontakt zum Verein "Gewaltfreies Lernen" geknüpft. Ausgangspunkt dafür war eine Weiterbildung für Lehrer, die die Unfallkasse Sachsen-Anhalt (UKST) im vergangenen Jahr angeboten hatte. "Denn auch wir haben ein Interesse daran, dass Unfälle an Schulen vermieden werden", erklärt deren Mitarbeiter Uwe Köppen. Oftmals seien solche Unfälle nämlich das Resultat einer Auseinandersetzung zwischen Schülern.

Und so war Köppen gestern extra aus Zerbst nach Gardelegen gekommen, um sich die Präventionsarbeit selbst anzuschauen. Schließlich hatte die Unfallkasse auch den größten Teil der Projektkosten übernommen. Den Rest brachten Sponsoren und die Eltern auf.

Und das sei eine gute Investition, wie Frank Bergmann betont. Denn vernünftiges Reagieren in Konfliktsituationen können schon Kinder lernen. "Die Stopp-Regel, die Körpersprache, all das kann helfen, einen Streit zu entschärfen", erläutert Eveline Schuller. Und wenn all das nichts bringt, gebe es Möglichkeiten der Selbstverteidigung, die "die Gewaltspirale nicht weiter hochdrehen", so die Trainerin. Nur üben müssen die Kinder solche erlernten Abläufe immer wieder.

Und genau das wollen die Lehrer und Erzieher sicherstellen. Denn neben allen Schulklassen trainierte Eveline Schuller in den vergangenen Tagen auch sie. "Toll, dass sogar Eltern dabei waren", lobt die Mediatorin, "das erlebe ich selten". Denn am besten funktioniere Deeskalation natürlich, "wenn sich Schüler, Lehrer und Eltern auskennen." Und dann übt sie mit den Kindern noch mal die Zauberworte: "Stopp! Hör auf damit! Ich will das nicht", rufen die Jungs und Mädchen im Chor. Und wer direkt neben ihnen steht, zuckt fast ein bisschen zusammen, so energisch klingt das schon.