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19-Jähriger aus dem Raum Mieste zu 250 gemeinnützigen Arbeitsstunden verurteilt/Beim Rumlümmeln auf Auto Schäden verursacht Richter Bormann: "Damit Sie mal wissen, was Arbeiten ist"

10.02.2012, 04:21

Gardelegen (ima) l Wegen Sachbeschädigung verurteilte Jugendrichter Axel Bormann den 19-jährigen Rico* zu 250 gemeinnützigen Arbeitsstunden. Der Mann hatte auf der Motorhaube eines Autos rumgelümmelt und dabei einen Schaden von 1150 Euro verursacht. Ein ungewöhnliches Vergehen, doch viel erschreckender ist das, was sich sonst noch im Leben des Mannes abspielt - nicht viel.

Mit seiner Schwester war der 19-Jährige an einem Mittwoch im März 2011 gegen 23 Uhr in Salzwedel unterwegs - zuvor gab es Alkohol, offenbar reichlich. "Waren Sie besoffen?", fragt der Richter. "Kann man so sagen, ich war schwer angeheitert", gesteht Rico. Dass er auf der Motorhaube des Golfs gelegen haben soll, bestreitet der junge Mann aus dem Raum Mieste zunächst: "Ich habe mich ganz leicht angelehnt, mit dem Rücken an die Autotür." An mehr könne er sich nicht erinnern.

Jemand anders kann sich jedoch exakt erinnern: der Mitbesitzer des Wagens, der gemeinsam mit seiner Partnerin mühsam jeden Euro für das Fahrzeug zusammengespart hatte. "Ich hörte schon in Entfernung Lärm und Gebrülle", berichtet der Salzwedeler vor Gericht. Dann sei er aus dem Bett gestiegen, habe von der dritten Etage auf den beleuchteten Parkplatz geschaut und "da lag er schon auf unserem Auto". Der Familienvater konnte gar nicht glauben, was er da sah: "Bei mir waren die Alarmglocken an." Er rief die Polizei, die ihn bat, in der Wohnung zu bleiben, um die Täter nicht zu verschrecken und sich selbst nicht in Gefahr zu begeben. "Das fiel mir sehr schwer, das Leid von oben anzusehen", so der Zeuge. Über eines ärgert sich der Autobesitzer im Nachgang besonders: "Noch nicht mal eine Entschuldigung ist gekommen." Die Polizeifotos belegen deutlich die Wischspuren von Ricos Körper auf der Motorhaube, denn das Fahrzeug war überall mit Blütenstaub bedeckt. Mehrere Dellen und Kratzer trug der Golf davon.

"Wie kommt man auf so eine abstruse Idee?"

Richter Bormann guckt sich kopfschüttelnd die Bilder an: "Ich mache das Geschäft schon lange, aber Leute, die auf fremden Autos sitzen, habe ich selten hier. Ich verstehe nicht, wie man auf so eine abstruse Idee kommt." Rico sagt dazu nichts. Jugendgerichtshelfer Udo Heimann kennt den jungen Mann bereits aus seinen Schulzeiten: "Wegen Schulbummelei." Schon damals sei er "träge gewesen, man musste ihn doll in den Hintern treten". Dabei hat Heimann auch Lob für Rico parat: "Er ist ein verträglicher junger Mann und ist engagierter Fußballer, gleich in zwei Vereinen. Einmal als Verteidiger, einmal als Torwart." Wenn er will, kann Rico sich also richtig ins Zeug legen. Nur beruflich ist da noch nichts herausgekommen.

Nach seinem Hauptschulabschluss habe er viele Bewerbungen geschrieben, aber nichts bekommen, erzählt der Angeklagte. Eine Maßnahme hat er 2010 abgebrochen, seitdem ist er ohne Arbeit. Er wohnt bei seinen Eltern, die beide berufstätig sind, und wird dort durchgefüttert. Sogar Geld für Zigaretten bekommt er. Doch der Vater beschwert sich im Gerichtssaal prompt noch, dass sein Sohn ja nicht mal Anspruch auf Hartz IV habe, weil er so jung sei. Da reicht es dem Jugendrichter und er faucht den Mann an: "Der einzige, der alles reingeschoben bekommt, ist Ihr Sohn!" An Rico gerichtet fügt er laut hinzu: "Wenn man bräsig zu Hause sitzt, Mutti kocht, Papa karrt einen zum Fußball, aber sonst nicht geradeausgucken können. Die Arbeit kommt nicht zu Hause vorbei!"

"Mehr kann ich für Sie heute nicht tun"

Mit der Justiz hat der 19-Jährige auch schon Erfahrungen: 2010 wurden drei Verfahren gegen ihn eingestellt, zweimal ging es um Diebstahl, einmal um falsche Verdächtigung. Für die Lümmelei auf dem Auto beantragt Amtsanwalt Stephan Paschen eine Strafe von 120 gemeinnützigen Arbeitsstunden sowie die Zahlung von 150Euro an einen Verein. "Richtig übel nehme ich Ihnen, dass Sie die Chance auf Entschuldigung nicht genutzt haben. Denn dumm sind Sie nicht." Doch auch beim letzten Wort, fällt Rico nur eines ein: "Nix."

Jugendrichter Axel Bormann geht über den Antrag des Staatsanwaltes hinaus: Er verurteilt den 19-Jährigen zu 250 gemeinnützigen Arbeitsstunden. "Damit Sie mal einen strukturierten Tagesablauf haben und wissen, was Arbeiten ist."

Das Pärchen aus Salzwedel, dem der Wagen gehört, wird einen Vollstreckungsbescheid in Höhe von 1150 Euro erhalten. Nun können die beiden hoffen, dass Rico irgendwann auch mal Geld verdienen wird. Bormann: "Mehr kann ich für Sie heute nicht tun." Sollte der Verurteilte die Arbeitsstunden nicht ableisten, "gehen Sie vier Wochen in den Dauerarrest, und die Stunden müssen Sie danach abarbeiten", kündigt der Jugendrichter noch scharf an. (*Name geändert)